Everything (PS4) im Test – Das Spiel zum Schauen, Fühlen, Staunen

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„Sei, was du möchtest“ – Die Botschaft von Everything lässt sich so zusammenfassen, doch es steckt auch noch mehr dahinter: Es gibt keine Regeln, keine Scripts… Das Spiel stammt vom irischen Künstler David OReilly, der vor allem für seine besonderen Kurzfilme bekannt ist. An einem Videospiel hat er sich schon einmal versucht: Mountain war ein Spiel über Berge und hat zahlreiche Spieler begeistert. Everything ist ein Spiel über… Alles. In unserem Test verraten wir, was dieses Spiel zu etwas Besonderem macht.


Alles ist möglich

In Everything fängt man klein an – Als Tier werdet ihr auf einen grünen Planeten gesetzt und wisst gar nicht, was euch alles erwarten kann. Schnell lernt ihr die Grundlagen: Ihr könnt in so ziemlich alles wechseln, was auf der Welt unterwegs ist, nur einige wenige große Strukturen sind nicht spielbar, beispielsweise manche große Berge. Ansonsten könnt ihr größer und kleiner werden, Ebenen wechseln – Vom Bakterium bis hin zur Galaxie und darüber hinaus, es gibt nichts, was ihr nicht sein könnt.

Das klingt erst einmal ziemlich abstrakt und das ist es natürlich auch, doch Everything ist mehr als nur ein Walking- oder Flying-Simulator, auch wenn es rein spielerisch erst einmal so aussehen mag. Everything versteht es, sich als Lebens- oder Universums-Simulator zu präsentieren, euch trotz fast vollständig fehlender Aufgaben eine sehr emotionale Geschichte zu erzählen und außerdem höchst philosophisch zu sein. Everythings komplette Darstellung der Dinge und die spielerischen Möglichkeiten basieren auf der Philosophie von Alan Watts (1915-1973). Originale Tonaufnahmen von ihm, die in seinen Seminaren und Vorlesungen aufgenommen wurden, begleiten das Spielgeschehen.

Watts hat sich mit dem Universum beschäftigt, mit dem Leben und dem Menschen. Es geht um unsere Existenz, darum, wie letztendlich alles miteinander verknüpft ist, wie in allen Dingen mit großer Wahrscheinlichkeit der gleiche Ursprung steckt und wie wir in großem Maße eine Ohnmacht verspüren (müssen), Dinge zu verändern, so, wie wir auf bestimmte Geschehnisse oder Aktivitäten unseres Körpers (z.B. die Verdauung) kaum oder gar keinen Einfluss haben.

Während ihr euch als beliebiges „Ding“ (alles wird in Everything „thing“ genannt) in Everything fortbewegt, sammelt ihr regelmäßig Gedanken von anderen Dingen auf. Diese sind natürlich auch von Watts‘ Philosophie inspiriert und anhand von kleinen Wolken zu erkennen, die die Gedanken repräsentieren. Ist irgendwo in eurer Umgebung das Everything Logo zu sehen, wisst ihr dagegen, dass euch etwas Anderes erwartet: Entweder, ein neues Spielelement wird eingeführt, oder eine neue Tondatei von Watts wird freigeschaltet.

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Was bin ich…? Eine Bushaltestelle auf einem Kontinenten ohne Busse.

Spielerische Möglichkeiten

Auch spielerisch ist Everything bei Weitem mehr als ein reiner Existenz-Simulator. Nach und nach schaltet ihr neben dem „Ascending“ (also in größere Dinge oder Ebenen wechseln) und „Decending“ (kleiner werden) mehr und mehr Möglichkeiten frei. So geht es schon damit los, dass ihr kommunizieren könnt. Jedes einzelne Ding im Universum verfügt dabei über einen passenden Laut. Tiere machen so ihre bekannten Laute, Autos hupen, Steine machen Rollgeräusche, Bäume rascheln mit den Blättern… Die Interaktionen zwischen euch und anderen Dingen sind zwar begrenzt, allerdings reagieren andere Dinge der gleichen Kategorie (also beispielsweise Tiere auf andere Tiere) auf euch und über Symbole wird dargestellt, wie die Interaktion ausfällt. Wirkt ihr einschüchternd auf ein anderes Ding oder seid ihr gar sein natürlicher Feind? Entsprechende Symbole wie ein Totenkopf stellen dies dar.

Wenn ihr ein wenig weitergespielt habt, schaltet ihr in Everything die Möglichkeit frei, euch in alles zu verwandeln, was ihr schon einmal wart- Nur das Menü dazu ist sehr nervig, denn es lässt sich nur umständlich und fummelig bedienen. Somit kann man Everything auch als Welteneditor bezeichnen: Theoretisch könnt ihr euren eigenen Planeten oder Kontinenten voller eindrucksvoller Anblicke schaffen. Hier arbeitet ihr eben nicht mit Voxeln oder Pixeln oder legt Hand an den Hammer an, sondern erschafft eure Welt direkt mit Dingen. „Absurde“ (wobei wir ja in Everything lernen, dass nichts so richtig absurd ist, außer vielleicht die Dinge, die die Menschheit schafft…) Kombinationen sind möglich: Ein Steinplanet, der über einer Kuhweide in der Luft hängt? Kein Problem. Um wirklich umfassende Umgebungen auch im kleinen zu planen, fehlt Everything nur ein wenig Präzision: Kleine Gebäude oder Objekte lassen sich nämlich nur schwer passgenau platzieren.

Übrigens könnt ihr in Everything auch immer neue Dinge erschaffen: Ihr könnt euch immer mit anderen Dingen verbinden, entweder den gleichen Dingen (also z.B. Wohnhaus mit Wohnhaus) oder mit Dingen der gleichen Kategorie (also z.B. Wohnhaus mit Zelt). Sind mindestens zwei gleiche Dinge in der Gruppe, könnt ihr auch Nachwuchs produzieren. Dazu müsst ihr die Gruppe einfach tanzen lassen. Nach ein paar Augenblicken ist dann der Nachwuchs bereit, zu schlüpfen. Der ist auch immer erst mal kleiner als die Eltern. So gehen euch die Dinge zum Anpassen eurer Welt auch definitiv nicht aus.

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Alles ist sehr atmosphärisch gestaltet.

Spiele und lerne

Ich persönlich fand den Weltenbauer-Aspekt in Everything wirklich faszinierend, aber in erster Linie, weil ich es genossen habe, ein Schiff über meinen grünen Planeten ohne Wasser schippern zu lassen. Was mich an Everything in erster Linie begeistert hat, ist der unheimliche Umfang und der große Lernaspekt. Man kann unzählige Dinge sein – Weit über 1.000 sind es auf jeden Fall. Was ist besonders daran? Für jedes Ding, das ihr schon einmal wart, wird ein Eintrag im Lexikon angelegt. Im Falle der „echten“ Dinge sind die entsprechenden Texte aus Wikipedia entnommen. Manche Dinge haben die Entwickler auch erfunden, die gibt es (vielleicht?) nicht wirklich, wobei Everything ja auch „Alien-Planete“ in verschiedenen Galaxien darstellt. Vielleicht gibt es diese Dinge also tatsächlich, und wir haben sie nur noch nicht gefunden.

Everything kann also ein Anlass sein, sich nicht nur mit Philosophie und der Lehre eines bestimmten Philosophen auseinanderzusetzen, sondern auch mit viel Wissenschaft. Man kann etwas über alle möglichen Lebensformen, Dinge und Erfindungen lernen, während man spielerisch das Universum erkundet. Ich habe noch nie ein Spiel gespielt, dass mich auf so viele verschiedene Weisen angesprochen hat und mit dem man sich so viel philosophisches und wissenschaftliches bzw. allgemeines Wissen aneignen kann. Natürlich setzt das voraus, dass man sich mit Everythingauch ausführlich beschäftigt und etwas Zeit damit verbringt. Übrigens ist ist das Spiel komplett auf Englisch, diese Sprache sollte man also gut beherrschen.

Erzählt Everything eigentlich nicht doch noch eine Geschichte? Ja, das tut es. Abgesehen von der Geschichte anhand der Gedanken der Dinge und den Aufnahmen von Watts ist mir eine Sache aufgefallen: Ich kann alles sein, nur kein Mensch. Die Erklärung dazu folgt nach etwa vier Stunden Spielzeit, denn dann erkundet ihr eine ganz besondere Umgebung im Spiel, die euch etwas Interessantes über die Menschheit verrät. Ich will nichts vorwegnehmen, außer: „Empty your mind!“ Nach dieser Erkenntnis begrüßt euch Everything übrigens erst so richtig im Spiel. Dann habt ihr nämlich (fast) alle spielerischen Möglichkeiten freigeschaltet und das Tutorial beendet.

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So sieht der Dokumentationsmodus aus.

Schau zu und staune

Nach diesem Tutorial schaltet sich auch noch ein komplett neuer Spielmodus in Everything frei – Der Dokumentations-Modus. Bereits von Anfang an habt ihr in Everything auch einfach die Möglichkeit, den Controller beiseite zu legen und zuzuschauen. Das Spiel wechselt dann automatisch in den Autoplay-Modus. Im „normalen“ Autoplay-Modus sieht man keinen Unterschied, ob ihr spielt oder die KI. Im Dokumentations-Modus dagegen wird auf die Darstellung der Wechsel zwischen den Objekten verzichtet, sondern die Wechsel folgen mit Kameraschnitten und zu jedem Objekt wird automatisch der Lexikon-Eintrag angezeigt. Ein perfekter Modus also, um Everything wie einen Film anzusehen und etwas über die Welt zu lernen.

Den normalen Autoplay-Modus könnt ihr ansonsten nach euren Wünschen anpassen und beispielsweise dafür sorgen, dass ausschließlich auf immer größere oder kleinere Ebenen gewechselt wird. Manchmal kann es ganz schön tricky sein, alle Objekte zu finden und in sie zu wechseln. Möchtet ihr auf einer Ebene bleiben und dafür sorgen, dass das Spiel hier automatisch alles erkundet, stellt ihr „Descend“ und „Ascend“ einfach auf 0 und lasst das Spiel machen.

Everything bietet sich wunderbar an, um es einfach nur anzusehen, denn egal, ob man selbst spielt oder sieht: Es ist wunderschön! Vom Stil her ist Everything wunderbar stimmig und besonders überzeugend ist das Spiel mit den Perspektiven, um die verschiedenen Größen der Dinge darzustellen. Man spürt sofort, ob man etwas Kleines oder Großes spielt, denn entsprechend fällt unser Blick auf die Welt aus. Herausragend ist darüber hinaus die Darstellung von Wettereffekten und Tagesabläufen auf den Planeten – Übrigens gibt es auf diesen auch Jahreszeiten. Je größer ihr seid, desto schneller vergeht die Zeit für euch. Wollt ihr also mal eben Winter, bleibt einfach kurz in der Gestalt eines Kontinenten und schaut, was passiert.

Technisch leistet sich Everything kleinere Platzer: Sporadisch kommt es auf allen Ebenen recht regelmäßig zu etwas stärkeren Framerate-Einbrüchen, insgesamt geht die Performance aber noch in Ordnung. Auf den Planeten und insbesondere Kontinenten ist auffällig, dass diese sehr klein sind. Läuft man in einer Linie auf einem Kontinenten, wiederholt sich das Gesehene bereits nach wenigen Sekunden, man erreicht aber nie ein „Ende“, obwohl man theoretisch ja irgendwann einmal das Ufer erreichen müsste, da alle Kontinente im Meer sind. Abgesehen davon ist die Sichtweite nicht besonders hoch und Dinge ploppen recht kurz vor einem auf. Der Atmosphäre tut das aber keinen Abbruch, ebenso hat mich nicht gestört, dass die Entwickler auf Animationen für Tiere und Dinge verzichtet haben. Stattdessen „rollen“ Tiere durch die Gegend, was zwar nicht unbedingt besonders ansehnlich ist, aber eigentlich die zentrale Botschaft des Spieles unterstreicht, nämlich, dass alle Dinge aus dem gleichen Ursprung stammen und letztlich gleich sind. Im Übrigen: Neben den passenden Soundeffekten sorgt ein stimmungsvoller Soundtrack in den richtigen Momenten für eine gute Untermalung. Die Stücke wiederholen sich zwar recht oft, passen aber wunderbar zum Gesehenen und Gespielten.

Fazit: Philosophie, Wissen und Emotion in einem

Everything ist anders als alles, was ich in letzter Zeit gespielt habe. Und das ist gut, richtig gut. Man könnte meinen, Everything ist ein reiner Existenz- und „Walking“-Simulator, doch im Spiel steckt viel mehr: Everything vereint Wissen, Philosophie und ein Spielkonzept, das trotz fehlender Aufgaben Spaß macht. Man kann unheimlich viele Dinge sein, lernt nebenbei anhand von Lexikon-Einträgen etwas über ihren wissenschaftlichen Aspekt, während man nebenbei mit der Philosophie von Alan Watts rund um das Leben und das Universum konfrontiert wird. Die Geschichte, die Everything davon abgeleitet erzählt, berührt ganz abgesehen davon auch noch. Everything kann man nicht nur spielen, sondern auf Wunsch kann man auch einfach nur zusehen. In beiden Fällen ist das Spiel bis auf wenige technische Patzer wunderschön und atmosphärisch. Ein besonderes Spielerlebnis, das zwar leider nicht viele begeistern wird, dem ich aber eine große Aufmerksamkeit wünsche.

Pro Contra
+ Unheimlich viele Dinge zum Erleben – Regelmäßige Framerate-Einbrüche
+ Tolle Implementation der Alan Watts Philosophie – Kontinente sind sehr klein
+ Viel wissenschaftliches und allgemeines Wissen enthalten – Deutliche Pop-Ins
+ Berührende Geschichte – Fummelige Bedienung des Verwandlungs-Menüs
+ Sicherer Stil und tolle artistische Umsetzung
+ Tolle Atmosphäre
+ Passende Musikuntermalung
+ Spannendes und motivierendes Spielkonzept
+ Modifizierbarer Autoplay-Modus

Technik: 90

  • Grafik: 83
  • Sound: 90
  • Umfang: 95
  • Gameplay: 93
  • KI: 90

Spielspaß: 98

Singleplayer:

  • Story: Everything erzählt den Großteil der Geschichte von ganz allein – Durch das Universum und Philosophie. Ein wenig bewegende Geschichte rundum den Menschen gibt es aber auch.
  • Frustfaktor: Kaum vorhanden, außer das Verwandlungsmenü hat seine ganz besonders nervige Phase.
  • Wiederspielwert: Riesig – Bis ihr alles gesehen habt und alles wart, vergeht eine ganze Weile.
  • Design/Stil: Rundum stimmig und atmosphärisch.
  • Musik: Die Musik passt wunderbar zum Geschehen, die Aufnahmen von Alan Watts sind gut implementiert.

Wir bedanken uns bei Double Fine für das Pressemuster zu Everything!

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Manuel Eichhorn
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