Lost Ember hat eine bewegte Entwicklungsgeschichte hinter sich – erst im letzten Jahr hat man sich kurz vor dem ursprünglich geplanten Release vom Storywriter getrennt. Mit ordentlich Verspätung ist der Titel nun erschienen und verspricht ein emotionales Erkundungsabenteuer. Ich habe mich lange auf Lost Ember gefreut – ob es meine Erwartungen erfüllen konnte, erfahrt ihr im Test.
Der Wolf im faultierpelz
Lost Ember ist ein besonderes Abenteuer. Die Menschheit hat die Welt längst hinter sich gelassen, aber nicht, wie vielleicht aus anderen Titeln gewohnt, in denen der Großteil zu Zombies wurde, nein, es gibt keine Menschen mehr, zumindest nicht in den Gebieten, die wir während des Abenteuers durchschreiten. Diese Welt gehört der Natur und den Tieren.
Warum die Menschen verschwunden sind, erfahren wir nicht. Lost Ember erzählt Verschiedenes: Wir wandeln zum einen auf den Spuren des Lebens der Protagonistin Kalani, nun in Wolfsgestalt unterwegs, und zudem sehen wir das, was von der Zivilisation übrig ist. Städte, Tempel, Bauwerke: Es war eine fortgeschrittene, aber keine technisierte Gesellschaft. Vieles ist zerfallen, allerdings zeigt sich noch eindrucksvoll, wie imposant das einst alles gewesen sein muss.
Die Wolfsgestalt ist nicht die einzige, in der wir unterwegs sind: Jedes Tier, das man sieht, kann man übernehmen. Die Auswahl ist dabei nicht riesig, allerdings wird man im Spielverlauf trotzdem beispielsweise als Büffel, Elefant, Kolibri, Wels, oder auch als Faultier unterwegs sein. Begleitet werden wir auch – unser Begleiter, den wir lange nur als roten Funken sehen, geht davon aus, dass er uns zur Stadt des Lichts begleiten muss, weil wir aus irgendeinem Grund nicht erlöst wurden. Nach und nach decken wir also die Geschichte Kalanis auf, die sich doch etwas anders entwickelt als gedacht.
Weder Schwarz noch weiß
Lost Ember hat für mich eine der stärksten Geschichten des Jahres erzählt. Hat Kalani eine Erlösung wirklich verdient? Auf diese Frage gibt es lang keine eindeutige Antwort, denn während sie Dinge gestohlen hat, um sie den Armen zu geben, hat sie auch eine tödliche Revolution mit angezettelt. Eine Revolution in einer Gesellschaft, die zwar üppig versorgt war, aber dennoch die Armen betteln ließ.
Lost Ember gibt keine eindeutigen Antworten, es gibt weder Schwarz noch Weiß, und während die dargestellte Gesellschaft eine ganz andere als die unsrige ist, so erkennen wir doch bestimmte Dinge wieder. Vor allem werden nach und nach weitere Aspekte aus dem Leben Kalanis und dem Handeln der Gesellschaft gezeigt. Immer wieder habe ich mir während meines Durchgangs durch Lost Ember die Frage gestellt: Wie würde das Abenteuer wohl aussehen, wenn wir unsere Gesellschaft in ein paar Jahrhunderten oder Jahrtausenden so nachleben würden?
Lost Ember erzählt gekonnt und einen wesentlichen Anteil daran hat die atmosphärische Musik und der Erzähler und Sprecher unseres Begleiters, im deutschen vertont von Volker Hanisch. Die Synchronisation ist nicht nur an sich herausragend, sondern die Stimme von Herrn Hanisch einfach auch nur hundertprozentig passend auf die Ereignisse und ihre Darstellung. Hut ab, hier hat man genau die richtige Sprecherauswahl getroffen, die beiden anderen Rollen sind auch sehr gut besetzt. Erzählt wird in Lost Ember zum einen durch den Erzähler und zum anderen auch durch die dargestellten Erinnerungen, die man immer wieder aufdeckt.
Die Details aus den Augen verloren
Lost Ember ist ein sehr ruhiges Spiel – es ist auf das Erleben der Erzählung und auf die Erkundung ausgelegt. Es wird dennoch nie langweilig, denn vor allem durch die nötigen Verwandlungen in andere Tiere gibt es ständig Veränderungen bei der Fortbewegung und der Geschwindigkeit. Tatsächlich fühlt sich jedes Tier anders an – niemand wird sich freiwillig längere Zeit als Faultier fortbewegen, während man sich als Büffel oder Elefant schon zu einem gewissen Grad mächtig fühlt. Ein Wombat ist einfach nur putzig, während man als Fisch sich manches Mal wie in einem Wettrennen fühlt, während einem als Vogel die ganze Welt zu Füßen liegt. Das haben die Entwickler ganz herausragend umgesetzt, und die Verwandlung zurück in den Wolf ist fast immer sehr elegant.
Während Animationen und Steuerung der verschiedenen Tiere sehr gut gelungen sind, ist es schade, dass andere Details nicht ganz so ausführlich berücksichtigt wurden. Dazu gehört vor allem das Verhalten der Tiere, wenn sie versuchen zu flüchten: Viel zu oft fliegen Vögel dauerhaft gegen die Berge oder Wombats laufen gegen Wände, wenn sie versuchen, vor einem wegzulaufen. Auch, wenn man ein Tier wieder gehen lässt und in ein anderes wechselt oder sich wieder in den Wolf verwandelt, versuchen, die Tiere zu flüchten. Die Reaktion ist genau richtig, doch für einen kurzen Moment schwenkt immer auch noch die Kamera dem Tier hinterher und macht umso deutlicher, wie es gerade beispielsweise gegen den Berg fliegt.
Auch die Spielwelt schafft es nicht an jeder Stelle, die wilde Natur einzufangen. Manches Mal blicken wir auf triste Grünflächen oder wenig bestückte Areale – das ist etwas schade, denn im Großen und Ganzen verzaubert die Welt von Lost Ember mit viel Atmosphäre, einer guten Stimmung und auch viel optischer Abwechslung. Da stechen die wenigen Areale, die nicht so sehr beachtet wurden, einfach nur besonders heraus. Vor allem Spieler, die auf Erkundung aus sind, werden diese Gebiete allerdings schnell finden, denn ist Lost Ember verstecken sich auch unzählige Sammelobjekte: Mehrere verschiedene Pilze und knapp 80 Relikte der gegangenen Zivilisation kann man finden – knifflig versteckt sind sie allemal, doch bei der Suche nach ihnen tappt man manchmal eben in lose Enden der Spielwelt.
Auffällig sind darüber hinaus Lücken in der Übersetzung – und das in einem Spiel eines deutschen Studios. Manche Fetzen wurden vergessen zu übersetzen und hier und da schleicht sich auch mal eine englische Tonspur ein – ärgerlich!
Eine emotionale Reise
Insgesamt ergibt sich in Lost Ember eine sehr stimmige Mischung aus Erkundung und einer gelungenen Erzählung. Manchmal langweile ich mich bei Spielen dieser Art – das war in Lost Ember nie der Fall, zumal das Erlebnis an einigen Stellen durch actionreichere Szenen mit leichten Quick-Time-Events aufgelockert wird. Diese sind nicht anspruchsvoll und im Übrigen ist Lost Ember zudem vollkommen gewaltfrei. Nicht einmal Auseinandersetzungen zwischen Tieren werden dargestellt. Die Suche nach den Sammelobjekten hat mir auch viel Spaß gemacht.
Als ich Mooneye Studios auf der EGX besuchte, hat man mir nicht allzu viel Hoffnung wegen der Technik gemacht. Man sprach davon, dass die PS4 Fassung die beste sei und vor allem die Optimierung auf die Xbox sehr schwierig sei, sogar auf die Xbox One X. Umso überraschter war ich, dass Lost Ember technisch eine solide Figur abgibt. Auch wenn es keine Extrafeatures die HDR und Co. gibt, sieht das Spiel ziemlich gut aus – es gibt allerdings vor allem gegen Ende einige Bildratenprobleme und einmal ist mir das Spiel auch abgestürzt. Insgesamt lief es aber deutlich besser als erwartet und in den wichtigen Situationen auch flüssig.
Von der Spielzeit war ich auch positiv überrascht, bei mir kamen mit moderater Erkundung circa sechs Stunden zusammen – und nun habe ich noch viele Sammelobjekte offen, die man kapitelweise nach dem Durchspielen sammeln kann. Ob mich Lost Ember zum nochmaligen kompletten Durchgang reizt, kann ich noch nicht sagen, denn Geheimnisse abseits der Geschichte kann man leider nicht wirklich entdecken – ein guter Ansatz wäre gewesen, wenn die Sammelobjekte nicht so zahlreich gewesen wären, aber vielleicht noch richtige zusätzliche Geschichten erzählt hätten. Sie werden zwar mit Infos in einem Menü gesammelt, spielen aber in der Welt an sich keine Rolle.
Fazit: Eine wundervolle Spurensuche
Nach meinem Besuch auf der EGX Anfang November 2019 blieb etwas Skepsis, was Lost Ember betraf. Doch nun kann ich sagen: Trotz einiger Macken hat das Spiel der Berliner Mooneye Studios meine Erwartungen voll und ganz erfüllt. Lost Ember ist erzählerisch – vor allem aufgrund des herausragenden Sprechers Volker Hanisch – unglaublich stark und die Verwandlungen in die verschiedenen Tiere sehr gut gelungen, auch was die Steuerung und das Spielgefühl betrifft. Schade, dass die Entwickler ausgerechnet beim Verhalten der Tiere nicht alle Details berücksichtigt haben und diese viel zu oft gegen Wände laufen oder fliegen. Auch technisch gibt es etwas Schluckauf inklusive eines Absturzes während meiner Spielzeit. Das lenkt aber nicht allzu sehr davon ab, dass Lost Ember eins der schönsten und emotionalsten Abenteuer des Jahres ist, das gekonnt eine Geschichte einer vergangenen Zivilisation erzählt und dabei auch die Frage aufwirft, wie eine ähnliche Geschichte wohl über uns lauten würde.
Pro | Contra |
---|---|
+ Herausragender deutscher Erzähler | – Verhalten der Tiere verbuggt (fliegen in Wände) |
+ Emotionale Geschichte | – Nicht ganz stabil auf Xbox One X (ein Absturz im Testzeitraum) |
+ Sehr gute Steuerung der verschiedenen Tiere | – Sammelobjekte sehr zahlreich, erzählen aber keine Geschichte innerhalb der Welt |
+ Spielzeit völlig angemessen | – Englische Text- und Sprachfetzen |
+ Genügend Abwechslung durch die Tiere und Erkundung sowie Erzählung | |
+ Gute Musikuntermalung | |
+ Größtenteils atmosphärische Welt |
Technik: 81
Grafik: 79
Sound: 97
Umfang: 85
Gameplay: 84
KI: 58
Spielspaß: 89
- Story: Lost Ember ist erzählerisch unheimlich stark – ebenso wie die Geschichte rund um die vergangene Zivilisation.
- Frustfaktor: Nicht vorhanden.
- Nachhaltigkeitswert: Lost Ember hat es verdient, in Erinnerung zu bleiben und im besten Fall, auch nochmal gespielt zu werden. Es ist ein schöner Titel, den man auch zusammen erleben kann.
- Design/Stil: Insgesamt sehr stimmig, hier und da ist nur auffällig, dass es an Details mangelt.
- Musik und Sound: Super atmosphärisch und passend, besonders durch den deutschen Erzähler.s
- Preis-Leistungs-Verhältnis: 30€ sind gerade noch okay, aber 20€ wären fürs Gesamtpaket attraktiver.
Offenlegung
Ein Pressemuster von Lost Ember wurde uns von den Mooneye Studios zur Verfügung gestellt.
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