Auch Frogwares folgt mit Sherlock Holmes: Chapter One aktuellen Videospieletrends und spendiert dem Abenteuer ein Prequel: Die Anfänge Sherlocks. Außerdem gibt’s im Unterschied zu den Vorgängern diesmal eine offene Spielwelt, in der die Fälle weniger linear ablaufen sollen. Ob sich die Wartezeit für Sherlock Holmes: Chapter One schließlich gelohnt hat und wieso die frischen Ansätze dem Spiel tatsächlich guttun, verrate ich im Test zur Xbox Series S Fassung.
Alles neu, und natürlich: Mehr!
Die vorherigen Sherlock Holmes Spiele aus dem Hause Frogwares haben sich alle recht ähnlich angefühlt. Die gute Nachricht dabei ist, dass auch Sherlock Holmes: Chapter One die übliche Handschrift aufweist und die bisherigen Abenteuer nicht vergisst. So ein wenig liegt das zwar auch an der holprigen Technik, doch dazu später mehr, im Kern ist das sehr positiv gemeint.
Am Anfang geht es noch wie gewohnt los, nämlich recht linear in einem Hotel für den ersten Fall nach Sherlocks und Jons Ankunft auf der Insel Cordona, doch danach wird klar, dass Sherlock Holmes: Chapter One deutlich mehr will. Entlassen wirst du dann nämlich in eine offene Welt, in der du nicht mehr unbedingt der Hauptgeschichte oder einem bestimmten Fall folgen musst, sondern auch erst mal erkunden oder andere Dinge machen kannst.
Sherlock Holmes: Chapter One folgt so dem aktuellen Trend und liefert das größte Abenteuer für Sherlock, der Umfang ist deutlich größer als bei den bisherigen Spielen. Die Größe der Spielwelt kann natürlich nicht mit anderen Open Worlds mithalten, das ist aber auch gut so – ich finde die Größe Cordonas genau angemessen. !B
Cordona: Hübsch und moderat lebendig
Mir gefällt Cordona als offene Welt auch sehr gut, vollumfängliches Potential einer offenen Spielwelt hat Frogwares aber nicht ausgenutzt. Die Stadt wirkt moderat lebendig, doch abseits des Oberflächlichen gibt es hier wenig, was sich wirklich entwickelt. Es laufen immer wieder dieselben NPCs herum, haben dieselben Sprüche auf Lager, immerhin skizziert die Spielwelt aber verschiedene Stadtteile und Gebiete und schafft es durchaus auch, eine gute Atmosphäre zu vermitteln.
Es gibt aber relativ wenig zu entdecken und vor allem kaum echte Nebenaktivitäten, zum Beispiel so ein paar Minispiele oder vielleicht einfach nur Miniaktivitäten hätten Cordona gut getan. Wer erkundet, wird mit hübschen Ausblicken belohnt, mit viel mehr aber nicht – außer natürlich man löst noch einen zusätzlichen Fall für Sherlock und Jon aus, dann gibt es noch etwas zusätzliches zu tun. Außerdem gibt es diverse Erinnerungen aus der Kindheit und Jugend Sherlocks zu rekonstruieren, was Cordona auch abseits der Hauptstory noch mehr Geschichte und Atmosphäre verleiht. Das ist schon gut gelungen.
Weniger gelungen ist die technische Seite: Ladezeiten bei Schnellreise sind auf der Xbox Series S zwar erfreulich kurz, doch vor allem was die Stabilität betrifft, darf man deutlich mehr erwarten. Beim Herumlaufen stockt Sherlock Holmes: Chapter One regelmäßig und beim Drehen der Kamera fallen am Bildschirmrand immer wieder Artefakte auf und wie sich die Spielwelt neu aufbaut. Optisch hinterlässt Sherlock Holmes: Chapter One so zwar einen guten Eindruck und begeistert teils sogar mit Lichtspielen und bestimmten Orten, technisch dagegen sieht es eher mau aus.
Stichwort Lichtspiele: Einen Tag- und Nachtwechsel gibt es in Cordona auch, der wirkt sich aber gar nicht auf Menschen und Händler:innen aus. Übrigens hat jedes Kleidungsgeschäft auf Cordona das gleiche Sortiment und Zeitungs- wie Buchhändler:innen verkaufen nur dieselbe Zeitung – und zu vielen Zeitpunkten gar nichts. Immerhin: Einige NPCs reagieren auf die Kleidung und an mehreren Stellen im Spiel muss man das richtige Tragen, um eine bestimmte Nuss knacken zu können. !B
Sherlock: Ein wandelndes Lexikon
Viel besser sieht es da bei den spielerischen Elementen aus. Sherlock Holmes: Chapter One bietet jede Menge verschiedene Rätseleinlagen und Ermittlungen, die sich allesamt sehr gut anfühlen und auch dafür sorgen, dass es nie langweilig wird. Egal ob das Analysieren eines Tatorts, einer Person, das Erstellen eines Profils oder eine chemische Analyse einer gefundenen Substanz: Die Elemente wiederholen sich zwar, aber nur in einer Frequenz, dass es nicht langweilig wird.
Hier wiederum nutzt Sherlock Holmes: Chapter One seine offene Welt auch gut, denn innerhalb der Fälle muss man teilweise anhand von Hinweisen einfach den richtigen Ort finden, Leute befragen oder aber das passende Archiv aufsuchen, um mit den richtigen Stichworten eine Zeitungs- und Polizeibericht zu finden.
Was in der Handhabung dabei nervig ist: An vielen Stellen geht es nur weiter, wenn einer der Hinweise aus dem Tagebuch „angepinnt“ wird. Erst, wenn der Hinweis angepinnt wird, steht die passende Interaktion zur Verfügung. Das Anpinnen selbst funktioniert nur aus dem Menü heraus gut, das schnelle Durchschalten sorgt bei mir meist dafür, dass nur alte, längst erledigte Hinweise durchgeschaltet werden, nicht aber die, die ich grade brauche. Generell nervt aber diese Mechanik: Warum geht es nicht auch ohne das Anpinnen? !B
Unschuldig verurteilt?
Was Sherlock Holmes: Chapter One aus den Vorgängern mitbringt: Einen recht moderaten Schwierigkeitsgrad, im positiven Sinne. Tatsächlich muss man nicht groß „um die Ecke denken“ oder Dinge tun, die nicht logisch sind. Mit dem aufmerksamen Lesen der Hinweise, Betrachten der Schauplätze (und Anpinnen der Hinweise…) und hin und wieder der Analyse einer Figur lässt sich alles recht einfach lösen, wobei es sich dennoch oft gut anfühlt, auf die richtige Lösung zu kommen, da sie eben auch nicht explizit dasteht, sondern man schon mit den Hinweisen arbeiten muss. Was das Spiel aber auch mitbringt: Immer eine gewisse Unsicherheit, ob man nun die richtige Person verurteilt hat.
Am Ende vieler Fälle kann man eine Entscheidung treffen, nämlich wer es war. Doch hier spielt die Entscheidung ebenso wenig eine Rolle wie beim Erstellen der Profile von Personen: Trifft man die falsche Entscheidung oder erstellt ein falsches Profil, ist die Konsequenz gleich Null und Sherlock führt hinterher sogar das Gespräch genauso, als hätte man die richtige Entscheidung getroffen.
Ich kann mir vorstellen, wie komplex ein Sherlock Holmes: Chapter One wäre, wenn sich nun noch aus den Entscheidungen der Spieler:innen verschiedene Pfade ergeben würden, doch ähnlich wie in den Vorgängern ist es schon etwas seltsam, dass man eigentlich ermitteln kann, wie man will und es immer weitergeht. Mich hat das beim Spielen immer wieder gestört, auch wenn das Ermitteln wirklich jede Menge Spaß macht und Frogwares auch bei dem durchaus beeindruckenden Umfang des Spieles immer wieder für Abwechslung sorgt. !B
Zeig es den Banditen
Spielerisch am wenigsten Spaß hatte ich lediglich mit den Banditenunterschlüpfen und sonstigen Kampfeinlagen: Sherlock hat nämlich auch eine Waffe und immer wieder gibt es Kampfeinlagen. Jon ist dabei aber glücklicher, wenn ihr die Wiedersacher:innen nicht tötet, sondern sie nur festnehmt. Das entpuppt sich aber oft als ziemlich schwierig, da man die Gegner dann entweder mit Schnupftabak bewerfen muss oder eine andere Ablenkung in der Spielwelt finden muss.
Auch die Quick-Time-Events, die in den Kämpfen zum Einsatz kommen, sind nicht sonderlich kreativ und laufen immer gleich ab. Um es kurz zu machen: Auf die Kämpfe hätte Frogwares meines Erachtens gern verzichten können. Vor allem die Banditenunterkünfte sind teilweise ziemlich frustrierend, da man mehrere Wellen von Gegnern überstehen muss. Ich erkenne den Sinn des Elements in Sherlock Holmes: Chapter One, es hätte aber besser umgesetzt werden dürfen.
Wer in all dem aber ein sehr gutes Bild hinterlässt: Der junge Sherlock, Jon und auch die anderen Figuren im Spiel sind sehr gelungene Persönlichkeiten. Ich finde, Frogwares vermittelt sehr gut, dass wir noch einen jungen Erwachsenen Sherlock spielen, der durchaus teilweise noch etwas frech, aber sehr gekonnt agiert. !B
Fazit: Sherlocks größtes Abenteuer
Sherlock Holmes: Chapter One ist Sherlocks bisher größtes Abenteuer – und auch sein bestes. Die frischen Elemente tun der Reihe gut, mit der offenen Spielwelt bringt Frogwares nicht nur einen beeindruckenden Umfang auf den Tisch, sondern auch viel Abwechslung bei der Ermittlungsarbeit. Die Potentiale der offenen Spielwelt und der Technik auf der Xbox Series S nutzt man dabei nicht: Das Spiel stockt öfter als mir lieb ist und Cordona ist noch etwas mehr Kulisse als echter Ermittlungsspielplatz. Dennoch sorgt die Spielwelt aber auch für das bislang stimmungsvollste Sherlock Abenteuer, das immer wieder von dir erwartet, dass du aufmerksam bist und mitdenkst. Ich persönlich hätte dabei gern auf die hakeligen Actioneinlagen verzichtet und mehr Konsequenzen meiner Entscheidungen gesehen. Weiter ermittelt habe ich dennoch zu jeder Zeit gern. Sherlock Holmes: Chapter One ist eine schöne Abwechslung in der großen Welt der anderen heutigen Spiele.
Pro | Contra |
---|---|
+ Sehr abwechslungsreiches Gameplay | – Ruckelige Technik |
+ Großer Umfang | – Furchtbare Kampfeinlagen |
+ Stimmungsvolle Kulisse | – Bildartefakte beim Kameradrehen |
+ Gelungene Figurendarstellung | – Nötiges Anpinnen der Hinweise nervt |
+ Gut lösbare, aber dennoch moderat anspruchsvolle Rätsel | – Offene Spielwelt oft eher Kulisse |
Technik: 82
Grafik: 71
Sound: 93
Umfang: 94
Gameplay: 85
KI: 69
Spielspaß: 82
- Story: Sherlock Holmes: Chapter One erzählt eine gelungene Jugendgeschichte Sherlocks und seine Anfänge als Detektiv brillant.
- Design/Stil: Stilistisch gelungen, technisch manchmal hakelig.
- Musik und Sound: Die Musikuntermalung und die englische Synchro sind sehr gut. Eine deutsche Synchro gibt es nicht.
- Preis-Leistungs-Verhältnis: Der Preis von 44,99€ ist für Sherlock Holmes: Chapter One angemessen.
- Langzeitmotivation: Gut. Das Spiel beschäftigt eine Weile und auch einen zweiten Durchgang kann ich mir gut vorstellen.
Offenlegung
Wir haben Sherlock Holmes: Chapter One selbst gekauft.
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