Neo Cab (Steam) im Test – Die Welt von morgen mit den Wurzeln im Heute

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Es ist schon das zweite Mal in diesem Jahr, dass ich in einem Spiel Taxi fahre und gleichzeitig ein Verbrechen, oder sagen wir mal, mysteriöses Ereignis aufkläre. Doch während die Grundstruktur recht gleich ist, ist Neo Cab ein ganz anderes Spiel als Night Call. Das ist das Tolle an Indiegames. Ob das Spiel mich jetzt auch noch überzeugt, erfahrt ihr im Test.

Und wieder: Die Stärke liegt abseits des Offensichtlichen

Das sind wirklich ein paar herausragende Persönlichkeiten, die man in Los Ojos kennen lernt – einer Stadt, die nicht umsonst den Spitznamen Automation City trägt und in der fast alles durch den Konzern Capra automatisiert wurde. Protagonistin Lina ist eine der letzten menschlichen Fahrerinnen – doch das glaubt ihr nicht unbedingt jeder. Zwei Touristen gehen davon aus, dass sie ein Roboter ist, doch dann wäre sie gesetzlich dazu verpflichtet, das auch zuzugeben. Also führen die beiden einen Test mit Lina durch, den angeblich keine Künstliche Intelligenz, sondern nur ein Mensch bestehen kann. Ob die ihn besteht? Erfahren wir nicht. Fünf Sterne gibt es für die Fahrt trotzdem.

Es sind Begegnungen wie diese, die Neo Cab besonders machen. Starke Dialoge, wichtige Entscheidungen, und Freundschaften oder Zerwürfnisse mit Persönlichkeiten wie der „Quanten-Hexe“, die uns darüber nachdenken lässt, ob Entscheidungen überhaupt eine Rolle spielen, wenn sowieso alle Zeitlinien parallel ablaufen, oder einer Programmiererin künstlicher Intelligenz für Bots und Fahrzeuge, die davon ausgeht, dass wir eine Mörderin auf Rädern sind und kein Mensch mehr Autofahren sollte. Fast alle dieser Dialoge können gut oder schlecht ausgehen, was sich auf die Bewertung eurer Fahrt auswirkt – und maßgeblich von euren Entscheidungen und euren Emotionen abhängt.

Es ist ein völlig anderes Setting und es gilt auch etwas anderes aufzuklären, nämlich keinen Mord, sondern das Verschwinden von Linas bester Freundin, mit der sie eigentlich nach ihrer Ankunft in Los Ojos zusammenziehen wollte. Doch in einer Sache hat mich Neo Cab dennoch verdächtig an Night Call erinnert: Die kleinen Geschichten sind es, die das Spiel besonders und auch erneut spielenswert machen. Die Hauptgeschichte fällt im Vergleich dazu geradezu steil ab. Zwar verwebt Neo Cab ganz exzellent fast jede einzelne der Geschichten der Fahrgäste gekonnt mit der Haupthandlung, doch so richtig springt der Funke dennoch nicht über. Vielleicht auch, weil man es andersherum formulieren müsste: Eher ist die Haupthandlung gekonnt mit den Einzelgeschichten verwoben, die allerdings alle zusammen ein viel eindrucksvolleres Bild dieser dystopischen Bild zeichnen, als es die Hauptstory jemals zustande bringt.

Man muss sich schon Einiges gefallen lassen. Doch das Setting ist stark!

Ein Spiel mit den Emotionen

Ich bin der Meinung, Neo Cab hätte davon profitiert, wenn es sich auf diese kleinen Geschichten konzentriert hätte und anstatt auf den großen Coup, mit dem das Spiel enden kann, auf eine Verbesserung der Verhältnisse in Los Ojos im Kleinen zu setzen. Ihr helft Aktivisten mit eurem Taxi aus der Patsche? Wunderbar, die Stellung von Capra, die in Los Ojos alles zu beherrschen scheinen und fast alle anderen Unternehmen aufgekauft, wird geschwächt. Ihr tut es nicht? Capra wird noch mächtiger und verbannt euch irgendwann vielleicht endgültig von den Straßen, da sie ihre selbstfahrenden Fahrzeuge durchsetzen wollen.

Ganz viel Potential zu so einem System schlummert in Neo Cab, denn es beinhaltet ein interessantes Emotionssystem. Nicht nur trägt Lina ein FeelGrid, das die Emotionen seiner Träger mittels einer bestimmten Farbe sichtbar macht, sondern eben diese Emotionen spielen eine zentrale Rolle im Spiel: Emotionen schalten in Gesprächen mit den Figuren neue Optionen frei oder hindern euch an anderen. Seid ihr zu niedergeschlagen, könnt ihr keine euphorischen Aussagen machen, seid ihr dagegen wütend, werdet ihr euch gegebenenfalls auch nur so äußern können.

Emotionen entstehen nicht nur innerhalb einer Konversation, sondern es kommt auch immer darauf an, was vorher geschehen ist, und das sorgt letztlich leider auch für so ziemlich den einzigen Frust in Neo Cab. Im Spielverlauf spürt ihr schon die Auswirkungen der verschiedenen Emotionen, spätestens dann, wenn ihr mehrfach spielt, denn manche Gespräche werden anders ablaufen, wenn ihr vorher eine andere Reihenfolge gewählt und zum Beispiel andere Fahrgäste aufgenommen habt.

Eine maßgebliche Rolle spielen die Emotionen allerdings im Finale. Neo Cab hat mehrere Enden – doch welches ihr davon erreichen könnt, hängt in erster Linie von Linas Gefühlslage zusammen. Ich habe Neo Cab in zwei Durchgängen völlig unterschiedlich gespielt und doch das gleiche, nicht positive Ende erlebt. Bei all den Unterschieden in den Durchgängen ist es aber fast unmöglich, dass am Ende wirklich alles genau gleich kommt. Das ist eine Designentscheidung, die ich nicht verstehe. Die meisten Spieler werden daher wahrscheinlich nur ein Ende sehen, denn ganz ehrlich: Für mehr als zwei Durchgänge ist Neo Cab nicht unbedingt motivierend. Dafür laufen die Gespräche doch zu gleich ab und man klickt sich durch immer wieder die gleichen Sätze. Echtes Vorspulen gibt es nicht.

Oh no! Nach mehreren Warnungen ist man seinen Job los. Und Neo Cab ist zu Ende.

Ein gemischtes Bild

Technisch hinterlässt Neo Cab einen gemischten Eindruck. Beeindruckend sind auf der einen Seite die Gesichtsanimationen aller Figuren, die nicht nur realistisch aussehen, sondern auch gut zum Geschehen passen. Generell ist das Figurendesign eine Stärke des Spieles. Ebenso gefallen die Lichteffekt, die regelmäßig von außen ins Taxi fallen.

Weniger gelungen ist ausgerechnet die Umgebung – Los Ojos sieht aus dem Wagen heraus überall ziemlich gleich aus und es fehlt an Details. Außerdem ploppen viele Elemente der Spielwelt erst wenige Meter vor dem Wagen ein. Besonders enttäuschend: Viele Szenen, die im Text erwähnt werden, werden in Neo Cab, wenn überhaupt, über den Ton dargestellt.

Die Musikuntermalung ist indes gelungen und bietet eine ordentliche Atmosphäre, allerdings wiederholen sich die Soundtracks bereits in einem der dreistündigen Durchgänge recht oft. Etwas mehr Abwechslung bei der Musik hätte dem Spiel also gut getan.

Gut umgesetzt in Neo Cab ist das Wirtschaftssystem. Zumindest geht man hier – und ich denke wieder an Night Call – nicht ohne Grund und ohne Chance es zu vermeiden, pleite. Gleichzeitig ist die Verwaltung des Gelds und der Ladung des mit Strom betriebenen Taxis auch keine große Herausforderung. Insgesamt ist es damit kein herausragendes Element, fügt sich aber gut in die Handlung und in den Spielefluss ein, da man neue Fahrgäste erst aufnehmen kann, wenn man genügend Ladung in der Batterie hat.

Die Kosten und die Batterieladung wollen verwaltet werden.

Fazit: Starkes Setting, schwächliche Story

Los Ojos hat es mir angetan – eine Welt, die auf dem besten Weg dahin ist, vollständig automatisiert zu werden und in der durch die Gefahr menschlichen Handelns dem Menschen das Autofahren verboten werden soll, ist ein guter Ausblick auf die Zukunft und könnte gleichermaßen nicht aktueller sein. Auch Capra als Gegenspieler macht eine gute Figur. Seine größten Stärken kann Neo Cab genau dann ausspielen, wenn es die Geschichten der Fahrgäste erzählt – ausgerechnet die Hauptgeschichte fällt dagegen ziemlich stark ab und ist gegen Ende zudem frustrierend, da man ihren Ausgang zwar beeinflussen muss, aber nicht so richtig kann. Atmosphäre und nicht erlebte Geschichten laden zwar zum wiederholten Spielen ein, bereits absolvierte Stränge sind aber doch eher repetitiv. Und so bleibt mir Neo Cab als Indie mit durchdachtem Setting in Erinnerung, welcher aber nicht sein eigentlich vorhandenes Potential ausschöpft.

Technik: 75
Grafik: 72
Sound: 79
Umfang: 71
Gameplay: 68
KI: 85

Spielspaß: 70

  • Story: Dystopische Geschichten sind immer was für mich. Auch Neo Cab überzeugt mich hier – aber vor allem mit allem abseits der Hauptgeschichte.
  • Frustfaktor: Durch das Ende der Hauptgeschichte vorhanden, welches man beeinflussen muss, aber nur eingeschränkt kann.
  • Wiederspielwert: Mittel. Neo Cab wird doch schnell repetitiv.
  • Design/Stil: Sehr gelungen und teils beeindruckend, wenn es um die Figuren geht. Los Ojos selbst ist aber nicht so überzeugend.
  • Musik und Sound: Passt super, ist aber repetitiv.

Offenlegung

Wir bedanken uns bei Fellow Traveller für das Pressemuster von Neo Cab!

Infos zum Testsystem

Neo Cab getestet auf einem Shadow Rechner mit folgender Hardwarekonfiguration:

  • Intel Xeon E5-2678 Zwölfkernprozessor mit je 2,5 Ghz.
  • Nvidia Quadro P5000
  • 12 GB RAM
  • 256 GB SSD
  • 1 Gbit/s Internetverbindung

Einen Erfahrungsbericht zu Shadow findet ihr hier. Wenn ihr Shadow einmal ausprobieren wollt und auf der ersten Rechnung 10€ sparen wollt, gebt einfach den Code MANWE34F ein (Ja, ich bekomme damit auch 10€ gutgeschrieben).

Ein Eintrag im Tagebuch der Neo Cab Protagonistin.

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Manuel Eichhorn
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