Seit dem vor einigen Jahren Life is Strange angekündigt wurde und ich mich sehr mit der Fähigkeit von Max anfreundete, bin ich eigentlich ein Fan der Serie. Ich mag den übernatürlichen Touch zwischen all den normal-menschlichen Dramen. Beim zweiten Teil der Reihe machte ich jedoch einen Bogen, das sprach mich nicht so richtig an. Doch bei Life is Strange: True Colors ist das was anderes und in einem Sale Anfang des Jahres schlug ich zu. Leider hat es bis jetzt gedauert, das ich die Geschichte rund um Haven Springs und Alex beenden konnte. Und was das für eine Achterbahnfahrt war! Gespielt habe ich die Xbox Series Version, auch wenn ich das nicht immer gemerkt habe. Viel Spaß beim Lesen der Review. !B
Willkommen in Haven Springs
Bevor ich True Colors spielte, wusste ich nicht so richtig, worauf ich mich einlasse. Klar, ich wusste, dass Alex die Fähigkeit hat, die Emotionen und damit verknüpften Gedanken ihrer Gegenüber zu lesen, doch mir war nicht klar, welche Auswirkungen das auf mich und die Geschichte haben wird. Life is Strange: True Colors wurde von den Leuten bei Deck Nine gemacht, die auch schon für Life is Strange: Before the Storm verantwortlich waren, mit dem ich nicht so richtig warm wurde. Doch hier ist es anders.
Für alle die Geschichte einmal kurz: Ich spiele Alexandra Chen – Alex – die nach Haven Springs kommt. Einem wunderbaren Ort in den Bergen. Dort erwartet sie ihr Bruder, den sie schon viele Jahre nicht gesehen hat, da beide eine schwere Kindheit zwischen Heimen, Pflegeeltern und Jugendknast hinter sich haben. Nun holt Gabe seine Schwester zu sich, um ihr ein neues Leben zu ermöglichen. Ein Leben in Frieden und eines, in dem sie sich selbst verwirklichen kann. Doch nicht alles in Haven Springs ist so idyllisch wie es zunächst klingt.
Kurz nachdem Alex und Gabe zusammengeführt werden, trennen sich ihre Wege auf schmerzliche Weise wieder voneinander: Gabe stirbt bei einem schrecklichen „Unfall“ in den Bergen, doch schon ziemlich bald stellt sich heraus, dass alles gar nicht so zufällig war wie es auf dem ersten Blick scheint – und schon stecken Alex und ich in ziemlich gefährlichen Ermittlungen rund um ein Minenunternehmen, das andere Pläne hat.
Life is Strange: True Colors ist dabei eine emotionale Achterbahn, die ihresgleichen sucht. Ich schlittere zwischen Freude über das Wiedersehen, die Leichtigkeit der Jugend, und Trauer rund um Gabes Tod, dem Abschied, der Schuld und allem, was dazu gehört, hinüber zu einem emotionalen LARP Event, um den jungen Ethan wieder auf andere Gedanken zu bringen. Life is Strange konnte das schon immer: Emotionen erzeugen, Gefühle hervorbringen, doch True Colors setzt bei mir noch einen drauf. Während ich beim ersten Life is Strange nur hin und wieder ein Wrack war, bin ich bei True Colors fast die gesamte Zeit ein emotionales Nervenbündel, jedes Mal kurz vorm Explodieren und nur davon abgehalten, weil es plötzlich doch eine fröhliche und leichte Szene zwischendrin gibt. Das hier ist emotionales Kino vom absolut Feinsten. Etwas, was ich bei einem großen Titel schon lange nicht mehr in der Heftigkeit erlebt habe. !B
Fünf Episoden in einer
Life is Strange: True Colors bricht mit der Tradition der Reihe und bringt alle fünf Episoden direkt als ein großes Spiel heraus, sodass ich schon vor einer ganzen Weile Episode 1 spielte. Doch nach Gabes Tod konnte ich nicht mehr. Ich habe die Konsole allein aus dem Grund einige Monate gar nicht angefasst. Ich wollte nicht daran erinnert werden, was passiert ist. Ich wollte nicht mit Alex und den anderen trauern, ich konnte es nicht. Doch heute habe ich den Rest am Stück durchgespielt und es war die beste Entscheidung, die ich treffen konnte.
True Colors hat insgesamt etwas eine Spielzeit von zehn Stunden, die sich wirklich in jeder Faser lohnen – und dazu noch hin und wieder mit kleineren Nebenquests geschmückt sind, die zur freien Verfügung stehen. Das nimmt den großen Emotionen manches Mal ein kleines bisschen an Fahrt, vielleicht ist es aber auch die gewünschte Pause, die man dazwischen einfach mal braucht, um durchatmen zu können.
Ich habe es auf jeden Fall sehr genossen, all die fünf Episoden fast am Stück spielen zu können und nicht warten zu müssen, wann die nächste Folge kommt. Das hat mir deutlich besser gefallen, als die vorherigen Titel. Zudem wurden die Folgen übrigens von sehr großartiger Musik untermalt, die jeweils sorgfältig ausgewählt wurden, um alle Szenen und Situationen perfekt zu unterlegen. Eine hervorragende Wahl, wie ich finde. !B
Ich kann sehen, was du fühlst
Ich mag die Fähigkeit, die Alex hat, da ich selbst manchmal sehr empathisch veranlagt bin, habe ich mich auf diese Weise sehr mit ihr verbunden gefühlt. Ich wüsste nicht, was ich tun würde, wenn ich die Emotionen so stark fühlen könnte, wie Alex. Es war trotzdem erfrischend. In vielen Situationen konnte ich auf diese Weise direkt sehen, wie sich jemand fühlt, mal sauer, mal traurig, mal glücklich. Am meisten hat mir gefallen, dass ich in True Colors direkt helfen konnte, wenn jemand von negativen Gefühlen übermannt wurde. Ich konnte sehen, welche Gegenstände zu den Emotionen gehören und das Gefühl lösen. Ja, in manchen Situationen kann ich diese Fähigkeit auch missbrauchen und einer Person die Emotion komplett nehmen. Das sollte jedoch gut durchdacht sein – und in einem zweiten Verlauf würde ich das nicht wieder tun.
Neben den Emotionen mag ich in Life is Strange: True Colors das es nicht wirklich schwierig ist. Ich muss keine schwierigen Rätsel lösen, sondern kann einfach voll und ganz in Haven Springs und seine Bevölkerung eintauchen. Ich kann ein Teil dieser Welt sein, ohne mich durch schwierige Rätsel rausreißen zu lassen. Auch mal ziemlich erfrischend.
Und generell mag ich Spring Havens. Die Schönheit des Ortes hat mich direkt abgeholt und mir eine Oase der Entspannung verschafft, was ich nicht erwartet hatte. Hier wurde Wert auf sehr viele Kleinigkeiten gelegt – die Liebe zum Detail wird in allen Szenen, Orten und Charakteren spürbar, sodass ich mich sehr wohl gefühlt habe. Die Welt in Life is Strange: True Colors wirkt nicht leer oder wie eine Spielwelt, sondern so, als könnte dieser Ort genauso existieren – nur bitte ohne Minenunternehmen. Darauf kann ich in der Realität auch verzichten, doch auf den Rest bitte nicht.
Das Charakterdesign hat mir auch sehr gut gefallen. Ich konnte mit vielen der Charaktere mitfühlen und ihre Geschichten erleben, sodass es sich wirklich anfühlt, ob ich Charlotte bei der Erziehung von Ethan helfe, dass ich Duckie beim Frühlingsfest unterstütze oder dass ich wirklich die Zukunft in dieser Gemeinschaft finden kann. Deck Nine hat hier wirklich etwas Großartiges für mich geschaffen. !B
Was wäre Life is Strange ohne Fehlerchen?
Die Life is Strange Reihe kommt seit jeher mit zwei bekannten Merkmalen daher: Einmal mit einem ganz besonderen Grafikstil, der die Charaktere teilweise plastisch oder wie Zeichnungen aussehen lässt. Zum anderen mit einigen Fehlern, die seit dem ersten Teil immer noch bestehen und nun auch in Life is Strange: True Colors auffallen. Weniger nervig, aber auffällig sind dabei die meisten Fehler, die ich hatte, schade aber trotzdem. So verzeichnet die Xbox Series Version doch hin und wieder Einbrüche der Framerate, wodurch manche Bewegungen ruckartig wirken oder manche Kameraeinstellungen mit einem Stottern wechseln.
Zusätzlich gibt es immer wieder Texturen, die nachträglich erst aufploppen oder scharf werden. Hierbei beobachtete ich beide Versionen, manchmal sogar direkte Elemente in Gesichtern, wie beispielsweise Alex‘ Augenbrauen, die manchmal erst einige Sekunden zu spät scharf wurden. Und dann gibt es in manchen Situationen Farbelemente, die nicht zur Szenerie passen. Hin und wieder (in der ersten Hälfte des Spiels) wurde die Hälfte des Bildschirms grün. Ich dachte erst, dass es zur Szene gehört, doch da ich ähnliche Szenen später ohne Grünphase erlebte, glaube ich das nicht. So was finde ich immer stets ärgerlich, doch dem Spielspaß tut das keinen Abbruch. Schade ist es eben trotzdem.
Ebenso ist die deutsche Synchronisation nicht immer lippensynchron. Manchmal bewegen sich die Lippen der Charaktere auch gar nicht, obwohl eine Tonspur läuft. Das ist einen Tacken ärgerlicher, denn die deutsche Synchronisation bis auf von Polizist Pike ist großartig. Zugegeben: Hier sind auch viele bekannte Stimmen zu hören, unter anderem Maria Koschny und Giuliana Jakobeit, sodass ich vom Gegenteil auch wirklich überrascht wäre. Ich musste mich zwar am Anfang erst an eine deutsche Sprachausgabe gewöhnen, doch mittlerweile bin ich wirklich sehr zufrieden, da hat sich Square Enix definitiv nicht lumpen lassen. Nur den Einsatz von Gronkh sollte man überdenken, wie ich finde. Seine Tonspuren waren nicht sonderlich gut abgemischt und spielerisch fand ich die Leistung auch nur mittelmäßig. Dennoch: Die Serie endlich auch mit deutscher Tonspur zu versehen, war das beste, was True Colors passieren konnte.
Ein wenig unglücklich finde ich jedoch das Einbinden von MyBlock (so was wie das Facebook des Orts) und SMS. Häufig chattet Alex während Cutscenes mit anderen Charakteren, sodass ich weder sehe, dass sie das tut, noch direkten Einfluss darauf habe. Im Nachgang kann ich das dann nachlesen, und weiß häufig nicht, wo die letzte Unterhaltung aufgehört hat und die neue anfängt. Außerdem habe ich nie Einfluss darauf, weswegen ich die Features zwar nett finde, um den Charakteren Tiefe zu geben, jedoch ist es für die Nutzung von Alex sinnlos. !B
Fazit: Die emotionalste Achterbahnfahrt hat sich gelohnt
Life is Strange: True Colors spielt nicht nur ingame mit den Emotionen und kann diese beeinflussen, auch mich als Spielerin ließ das Spiel die gesamte Palette zwischen Trauer, Wut und Freude durchleben, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich habe gern als Alex mit den Gefühlen gespielt, Haven Springs aufgesucht, mir eine Zukunft gesucht und ganz nebenbei die Welt zum Besseren gestaltet. Lediglich SMS und MyBlock empfinde ich als unnötig und teilweise störend, auch wenn es zur Charakterbildung beiträgt. Die deutsche Synchro ist weitestgehend wirklich gut und passend, während True Colors von einem sensationellen Soundtrack untermalt wird. Da kann ich über die typischen Fehlerchen wie einbrechende Framerates, Texturen, die nachladen, oder asynchrone Tonspuren größtenteils hinwegsehen und dir ein zehnstündiges Drama mit emotionalem Kino vom Feinsten ans Herz legen. Für mich definitiv eines meiner Highlights 2022.
Pro | Contra |
---|---|
+ Emotionale Geschichte mit Höhen und Tiefen | – Nachträglich auftauchende oder scharf werdende Texturen |
+ Haven Springs ist ein wundervoller Ort | – Hin und wieder Einbrüche der Framerate |
+ (ast immer) Sehr gute deutsche Synchro | – Synchronisation nicht immer passgenau |
+ Passender und gelungener Soundtrack zu jeder Zeit | – SMS und Social Network teilweise unnötig |
+ Alle Episoden auf einmal laden zur emotionalen Achterbahn am Stück ein | – Grüne Fragmente in der ersten Hälfte |
Offenlegung
Ich habe mir Life is Strange: True Colors auf der Xbox Series S selbst gekauft.