Seit The Longest Road on Earth im letzten Jahr angekündigt wurde, war ich fasziniert vom Titel – und noch viel mehr als ich die Demo Anfang des Jahres spielte. Ein Spiel, das nur mit Musik und ganz normalen Momenten ganze Geschichten erzählt, kann das gutgehen? Die Demo hat mich erahnen lassen, was mich in der Vollversion erwartet und ich wurde keineswegs überrascht. Dieses meditative Experiment hat es für mich definitiv in sich.
So rein wie das Leben
Als der Abspann zu The Longest Road on Earth nach knapp anderthalb Stunden über den Bildschirm flimmerte, fühlte ich mich wie nach einem guten Buch, das sich einfach erlaubt, zu Ende zu sein. Mir waren die Charaktere so sehr ans Herz gewachsen, dass ich nicht wollte, dass diese Erfahrung endet. Ich war so zu mir selbst gekommen, dass ich nicht wieder zurück wollte, in diese stressige Welt, die so viel mehr von mir fordert als dieses Spiel, zumindest auf technischer Seite.
The Longest Road on Earth lässt mich an sechs verschiedenen Leben in ihrer ganzen Alltäglichkeit teilhaben. Ich erlebe mit ihnen Stunden, Tage oder sogar Jahre, in denen ich sie begleite. Mal hänge ich Wäsche auf, mal putze ich ein großes Schiff, mal esse ich einfach nur in einer Kantine, mal bediene ich andere Gäste in einem Restaurant, mal lerne ich laufen, mal rauche ich eine Zigarette, mal koche ich Kaffee, mal fahre ich einfach nur mit dem Zug, mal stehe ich in einer Warteschlange an, mal drehe ich Deckel auf Cola Flaschen. Es sind genau diese Momente, die The Longest Road on Earth für mich zu etwas ganz besonderem machen.
Hier geht es nicht darum, dass ich irgendwelche Entscheidungen treffe und scheitere. Hier geht es auch nicht darum, dass ich als erste über eine Zielgrade hechte. Hier geht es nur ums Leben selbst. Ich muss mich nicht beweisen, ich kann einfach nur genießen. Untermalt wird dabei jede Sequenz von fantastischer Musik. Und dabei passen die Songs zu jeder einzelnen Szene wie die Faust aufs Auge – schließlich ist sie maßgeblich an der Erzählung innerhalb der Geschichten beteiligt. Einige Songs haben sogar dafür gesorgt, dass ich mir doch die eine oder andere Träne wegwischen musste. Schade nur, dass dann ausgerechnet im Abspann kein Musikstück zu hören war.
Vielleicht bin ich auch einfach nur sentimental, vielleicht beschäftige ich mich aber auch viel zu sehr mit Achtsamkeit außerhalb von Videospielen und finde es deswegen so erfrischend, dass The Longest Road on Earth genau das in den Vordergrund stellt: Einfach mal im Hier und Jetzt den Moment erleben, ohne dabei zu überlegen, wie mein nächster taktischer Schritt aussieht und wie ich dieses Level am gewinnbringendsten spielen muss. Ich habe mir noch viele Gedanken in Spielen über Achtsamkeit gemacht, doch hier muss ich es quasi und das macht für mich The Longest Road on Earth zu etwas absolut Besonderem, auch wenn der Name nicht zur Länge des Spiels, wohl aber zum Leben selbst passt.
Monochromes Leben
The Longest Road on Earth bleibt farblich in Graubereichen zurück – und dennoch habe ich das Gefühl alles in Farben zu sehen und zu genießen. Stilistisch folgt die Welt einem Pixelartstil, den ich persönlich nicht immer gelungen finde. Die Charaktere gefallen mir zwar sehr gut, doch finde ich die Umgebung manchmal ein wenig „unsauber“, da die Pixel dort nicht zu passen scheinen. Zudem flimmert teilweise die Umgebung, jedoch nicht immer, aber das sind die einzigen beiden Dinge, die ich zu bemängeln habe.
Für mich ist The Longest Road on Earth ein phänomenales Spiel, auch wenn es an sich kein wirkliches Spiel ist. Es ist ein meditatives Experiment, das man bei Steam und auf mobilen Endgeräten kaufen kann, um einfach mal abzuschalten und aus dem Trubel zu entkommen. Gesteuert wird diese Erfahrung mit der Tastatur auf dem PC: Mit A, D oder den linken und rechten Pfeiltasten lenkt man die jeweilige Figur, die gerade gespielt wird, mit der Leertaste werden Aktionen durchgeführt. Und das funktioniert super! Mit einem Charakter habe ich das Laufen gelernt – und hier wurde sogar darauf geachtet, dass die Animationen nicht immer reibungslos verlaufen und auch das Laufen manchmal herausfordernd ist. Eine fantastische Erfahrung!
Viel öfter sollte es, meiner Meinung nach, in Spielen auch einfach mal um den Moment gehen. Doch das ist viel schwieriger als gedacht, denn auch mir ging es ein paar Mal so, dass ich mich fragte, was ich als nächstes tun muss – obwohl ich nur entspannen möchte. Aus diesem Grund denke ich, dass es noch viele Jahre dauern wird, bis diese Spiele auch akzeptiert werden. Diese ruhigen Momente mitten im Trubel der Videospiellandschaft. Diese Oasen, die einfach zum Verweilen und Entspannen einladen, ohne etwas zu fordern. Davon sollte es öfter geben und sie sollten viel mehr akzeptiert werden.
Fazit: Und über mir da ziehen Wolken
The Longest Road on Earth ist eine meditative Erfahrung, auf die man sich einlassen muss. Wenn du auf der Suche nach einem actionlastigen Spiel bist, in dem deine Entscheidungen Einfluss auf die Welt haben, bist du hier definitiv nicht richtig. Wenn du dich aber mit Achtsamkeit beschäftigst und den Moment schätzen lernen möchtest, dann ist The Longest Road on Earth genau die richtige Erfahrung für dich. Hier geht es um den Moment selbst, um die Alltäglichkeit des Lebens, ohne von Quest zu Quest zu hetzen, sondern einfach mal voller Ruhe den Augenblick wahrzunehmen und zu genießen. Das fällt uns im richtigen Leben oft schon schwer genug, deswegen finde ich es gut, dass mir nun ein Videospiel dabei helfen kann. Mich hat The Longest Road on Earth auf jeden Fall nachhaltig beeinflusst und beeindruckt und ich hoffe, noch viel mehr Spiele dieser Art sehen zu können. Von mir gibt es eine klare Empfehlung, wenn du dich auf ein solches Experiment einlassen möchtest.
Pro | Contra |
---|---|
+ Fantastischer Soundtrack | – teilweise „unsaubere“ Pixel |
+ Meditative Erfahrung | – Flimmern bei einigen Flächen |
+ Man erlebt bewusst den Moment (Thema: Achtsamkeit) | – hin und wieder leichtere Grafikfehler |
+ Monochromes „Farberlebnis“ | – Keine Musik im Abspann |
+ Emotionale Bindung zu Charakteren | (- Könnte etwas länger sein) |
+ Alltägliche Situationen stehen mit großen Hintergrundthemen im Vordergrund |
Technik: 84
Grafik: 82
Sound: 95
Umfang: 80
Gameplay: 80
Spielspaß: 95
- Story: The Longest Road on Earth erzählt von der Alltäglichkeit des Lebens, von den Momenten selbst und den Themen, die uns unterschwellig beschäftigen.
- Frustfaktor: Für mich nicht vorhanden.
- Nachhaltigkeitswert: Mich hat es auf jeden Fall nachhaltig beeinflusst und ich hoffe, dass es vielen Spieler/-innen so ergeht.
- Design/Stil: Monochrome Farbwelt mit Pixelartstil, der sich nur manchmal ein wenig „unbsauber“ anfühlt.
- Musik und Sound: Die Musik ist einfach nur der Hammer!
Offenlegung
Ich habe ein Pressemuster von den zauberhaften Menschen bei Raw Fury erhalten.