Als Herzensprojekt beschreibt das rumänische Studio Breadcrumbs Interactive sein Erstlingswerk Yaga, das sich beim Inhalt an Erzählungen aus Osteuropa orientiert und auch erzählerisch genau da anknüpfen möchte. Tatsächlich haben die Entwickler ein einzigartiges Erlebnis geschaffen, obwohl man sich mechanisch keineswegs außergewöhnlicher Tricks bedient. Genaueres verrät der Test.
Ein einsamer Schmied und seine Geschichte
Ein einsamer und vor allem einhändiger Schmied wird zum Zaren zitiert, um ihm einen Gefallen zu erweisen und seine Herrschaft zu retten. Doch wie kam es überhaupt dazu, dass der Schmied einhändig wurde, und wie soll er dem Zaren helfen, einen goldenen Apfel für ewige Stärke, ein Gebräu für Glück und die schönste Frau der Welt zu bekommen? Das alles geht nur mit ein bisschen Hilfe – durch die Hexe Baba Yaga, die allerdings eher ein Interesse daran hat, die Herrschaft des Zaren zu beenden. Außerdem wird der Schmied vom Pech verfolgt, seitdem er Licho auf einer vermeintlich harmlosen Mission begegnet ist und so seinen Arm verloren hat.
Yaga bedient sich zahlreicher Inhalte und Figuren aus der slawischen Mythologie und tut das sehr geschickt – es ist eins der Videospiele, die man als Anlass nehmen kann, sich in einen neuen Bereich der Geschichte und Folklore einzulesen. Atmosphärisch verzaubert Yaga dabei voll und ganz: Die handgezeichneten Figuren und Umgebungen stellen den Inhalt gekonnt und butterweich da, doch besonderes Lob hat der Soundtrack verdient: Die Musikuntermalung passt nicht nur hundertprozentig aufs Setting, sondern bringt auch genügend Abwechslung und vor allem Atmosphäre mit. Je nach Situation und im Kampf wird eine passende Musik eingespielt, die sofort verzaubert, ins Ohr geht und auch da bleibt. Yaga bietet einen der besten Spielesoundtracks der letzten Jahre.
Laut eigenen Aussagen wollten sich die Entwickler nicht nur vom Setting und vom Plot her, sondern auch von den restlichen Mechaniken her bei mündlich überlieferten Geschichten orientieren. So soll es sich auf jeden Fall lohnen, Yaga mehrfach zu spielen. Allzu tief in die Trickkiste greift man dazu nicht – und ebenso wie viele andere vergleichbare Titel der letzten Jahre weist Yaga bekannte Stärken und Schwächen dieser „Trickserei“ auf.
Zufällige Generierung nimmt Persönlichkeit
Fakt ist: Mit einem Durchgang werdet ihr in Yaga längst nicht alles gesehen haben. Es gibt allein schon sechs verschiedene Enden. Diese entstehen in erster Linie durch mehrere Entscheidungen, die ihr im Spielverlauf trefft. Solche Entscheidungen beeinflussen nicht nur Cutscenes oder Dialoge, sondern mitunter auch den Spielablauf. Es gibt mehrere Verzweigungen, die mit den Aufgaben des Zaren, aber auch mit Nebenquests zu tun haben. Yaga bietet hier mehr als manch groß angelegtes RPG, aber hat natürlich auch nur eine Spielzeit von etwa 5-6 Stunden für einen Durchgang. Diese Angabe der Entwickler können wir absolut bestätigen.
Die Entwickler versprechen auch, dass kein Durchgang wie der andere ist, und dafür greift man auf eine Spielmechanik zurück, die ich persönlich nicht besonders gut leiden kann: Prozedurale Generierung. Leider bestätigt mir auch Yaga, dass an meiner Abneigung was dran ist. Dass abseits des Dorfes alle Gebiete zufällig erstellt werden, merkt man auch innerhalb eines Durchgangs – etwa, wenn man mehrmals dorthin geht für verschiedene Quests oder aber wenn man stirbt und die Mission wiederholen muss.
Yaga leidet an der typischen Unberechenbarkeit von zufällig generierten Welten: Der Schwierigkeitsgrad schwankt, oft läuft man in lose Enden, während manchmal das Questziel direkt nach dem Start auf einen wartet und ein andermal wirkt das Level unnötig in die Länge gezogen, was vor allem angesichts der nicht allzu großen Gegnervielfalt schnell auffällt. Manchmal werden mehrere Nebenquests direkt nebeneinander platziert, während es beim nächsten Mal nur eine im ganzen Level gibt – das ist schade.
Besonders, da Yaga eigentlich so viele unheimlich gute, teils tiefe, manchmal auch einfach nur lustige Geschichten erzählt. Yaga verhält sich wirklich wie eine typische Erzählung: Grundsätzlich ist das Abenteuer des Schmieds jedes Mal gleich, doch Details ändern sich, so, wie in einer mündlichen Erzählung immer mal wieder was dazugedichtet, weggelassen oder vergessen – oder man erinnert sich nicht mehr so genau, was der Schmied in einer bestimmten Situation getan hat.
Mir hätte es nur besser gefallen, wenn die Entwickler weniger auf Zufälligkeiten gesetzt hätten. Ich verstehe den Ansatz absolut und Yaga profitiert durchaus auch davon, doch wenn manchen Abschnitten die komplette Persönlichkeit fehlt und sie wenig ausgereift wirken, steht das im krassen Gegensatz zu der riesigen künstlerischen Leistung, die ansonsten in Yaga steckt.
Gelungenes Kampfsystem und Crafting
Bisweilen entsteht der Eindruck, dass die ganzen Zufälligkeiten sonst fehlende Vielfalt zu kaschieren versuchen, und das ist ein Eindruck, den ich in Yaga eigentlich gar nicht haben möchte – und zwar wirklich gar nicht! Wie schon erwähnt ist die Gegnervielfalt leider eher gering und auch die Kämpfe gehen irgendwann in Fleisch und Blut über – so sehr, dass ich mich sogar gegen Ende meines ersten Durchgangs eher gelangweilt habe.
Das ist schade, denn neben den vielen kleinen Geschichten, die sich sogar über mehrere Besuche des gleichen Levels ziehen, bietet Yaga ein gelungenes Kampfsystem mit genügend Anspruch, das auch ziemlich aktiv ist: Neben dem Nahkampf mit Fäusten oder Hammer stehen uns neben der Ausweichrolle auch verschiedene Werkzeuge zur Verfügung, die der Schmied durch seine Schmiedekunst anstelle der zweiten Hand verwenden kann: Neben einem Schild gibt es unter anderem eine Bärenklaue oder ein Haken, mit dem Gegner herangezogen werden können. Für jeden Spielstil ist was dabei.
Die Werkzeuge wiederum schmiedet man sich aus gesammelten Materialien – davon gibt es reichlich und neben Erzen für ein grundsätzliches Merkmal der angepassten Waffe gibt es noch bis zu drei Erweiterungen, die zusätzliche Effekte verpassen. Von verlangsamenden Effekten bis zu Blitzschlägen auf die Feinde ist alles dabei. Das gefällt mir gut und ist eine weitere Sache, mit der man Yaga an seinen eigenen Spielstil anpassen und seine eigene Geschichte schreiben kann – gefällt mir gut!
Das Unglück ist uns auf der Spur
Viel angenehmer wäre das alles, wenn Licho uns nicht fast dauerhaft auf der Spur wäre. Cool: Unser Unglück steigt immer dann, wenn wir im Dialog eine Option wählen, die nicht unserer Persönlichkeit entspricht. Wie üblich kann man in Yaga zum Beispiel egoistisch, hilfsbereit oder töricht antworten. Die Persönlichkeit wird schlichtweg dadurch bestimmt, was man am meisten wählt.
Doch auch Segen sorgen für steig steigendes Unglück und machen damit ihren Effekt quasi in fast allen Fällen zunichte, denn ist der Unglücksbalken erst mal voll, schlägt Licho zu und nimmt einem Inhalte des Inventars weg und mitunter zerbricht auch die derzeit ausgerüstete Waffe – das kann mitunter frustrierend sein und leider gibt es bis zum Spielende keinen (mir bekannten) Weg, um dem Unglück nachhaltig aus dem Weg zu gehen.
Ansonsten gibt es in Yaga übrigens wenig, das uns aus dem Spielfluss reißt: Nur die bei manchen Gebietswechseln auffällig langen Ladezeiten stören auf der Xbox One, zum Spielende gab es zudem hier und da kleine Bildrateneinbrüche, die aber kaum einer Erwähnung wert sind. Viel zu wenig aus dem Spielfluss reißen uns aber auch die Bosse – diese werden zwar unterschiedlich dargestellt, doch Väterchen Frost ist kein bisschen anders zu besiegen als Licho persönlich…
Fazit: Viel Persönlichkeit trifft auf zufällige Generierung
Ich möchte Yaga eine Topwertung geben, denn für mich ist es einer der Indietitel in diesem Jahr, in denen am meisten Aufwand steckt. Fast überall merkt man Yaga an, dass es für die Entwickler wirklich ein Herzensprojekt ist. Der handgezeichnete Stil, die Atmosphäre, der Soundtrack, das Craftingsystem – alles ganz große Stärken. Entscheidungen, die das Spiel verändern, neue Geschichten schreiben lassen und mindestens sechs Enden bescheren – super. Doch um Vielfalt zu bieten, greift Breadcrumbs Interactive auch auf zufällige Generierung zurück, ein Element, das Yaga meines Erachtens gar nicht gut tut und außerdem schon gar nicht Teil der slawischen Folklore ist. Zu einem großen Teil zerstört diese durch inhaltslose Level sogar die Persönlichkeit, die das restliche Spiel aufbaut – auch der Schwierigkeitsgrad ist dadurch nicht immer verlässlich und manches wird unnötig in die Länge gezogen. Die vielen kleinen gelungenen Geschichten sollten die Entwickler auf jeden Fall erzählen, doch ich hätte lieber ebenso handerstellte Level gesehen, damit ich auch noch für den dritten und vierten Durchgang nachhaltig motiviert bin.
Pro | Contra |
---|---|
+ Absolut hervorragender Soundtrack (Musik) | – Prozedurale Generierung nimmt viel von der Persönlichkeit |
+ Tolle Atmosphäre | – Einige lose Enden in den Leveln |
+ Crafting mit Tiefgang | – Geringer Gegnervielfalt |
+ Viele kleine Geschichten | – Bosse ohne Herausforderung |
+ Entscheidungen und verschiedene Enden | – Teils Frustpotential |
+ Gelungenes Kampfsystem | – Manchmal sehr lange Ladezeiten |
Technik: 71
Grafik: 85
Sound: 100
Umfang: 85
Gameplay: 71
KI: 58
Spielspaß: 78
- Story: Eine umfangreiche Geschichte, die sich immer wieder in Details anpasst, inspiriert von der slawischen Mythologie, beeinflusst durch eure Entscheidungen.
- Frustfaktor: Vorhanden, in erster Linie durch die zufällige Generierung, die manches unnachvollziehbar macht.
- Nachhaltigkeitswert: Yaga sollte in Erinnerung bleiben – allein wegen des absolut hervorragenden Soundtracks. Ich hoffe, dass auch die Geschichte viele Spieler überzeugt. Nicht immer ist Yaga durch seine Designschwächen allerdings zum Weiterspielen motivierend.
- Design/Stil: Stimmig, handgezeichnet und aus einem Guss.
- Musik und Sound: Die Musikuntermalung ist herausragend.
- Preis-Leistungs-Verhältnis: Der Preis von 19,99€ ist voll und ganz angemessen.
Offenlegung
Wir bedanken uns bei Versus Evil für das Pressemuster von Yaga! Wir haben das Spiel auf einer Xbox One X getestet, installiert auf einer externen Samsung SSD.
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