Als Sea of Solitude angekündigt wurde bzw. im Rahmen der EA Origins Präsentation der breiten Öffentlichkeit bekannt wurde, habe ich mich wirklich doll gefreut. Ein mutiges Indieabenteuer über Einsamkeit, das Miteinander und im weitesten mental health. Was ich letztlich bekommen habe, ist ein wenig anders, als erwartet.
Wir begleiten in Sea of Solitude die junge Kay durch ein überschwemmte Großstadt. Es handelt sich um ihre Heimat, wir besuchen Orte, die Kay schon als Kind, mit ihrer Familie oder im Lauf ihrer Jugend besucht hat. So richtig erinnert sie sich zunächst nicht daran, was passiert ist – und Stück für Stück müssen wir herausfinden, warum ihre Lage so ist wie sie ist, warum sie alleine unterwegs ist, selbst zum Monster geworden, wobei sie sich anderen Monstern stellen muss.
Bei diesen Monstern handelt es sich um Kays Familie, um ihren Bruder, ihre Eltern und ihren Freund. In den drei Kapiteln des Spieles erfahren wir, warum diese Personen zu Monstern geworden sind. Wer hier jetzt eine mutige und frische Geschichte erwartet hat, wie ich es getan habe, wird enttäuscht – Erklärungen wir sämtliche Entwicklungen und Probleme liefert Sea of Solitude gleich mit. Mit Blick auf die Themen geht es über Mobbing, Eheprobleme und eine erste Trennung nicht hinaus – und auch der Umgang mit den Themen selbst eröffnet nicht gerade unbekannte Tiefen, außer natürlich, dass Kay mit allem irgendwie in Verbindung steht.
Das Monsterdesign ist im Laufe der Story die ganz große Stärke von Sea of Solitude. Hier spielt der Titel des Berliner Studios Jo-Mei ganz oben mit und braucht sich vor niemandem zu verstecken. So stark wie man hier ist, so schwach bleibt man aber beim Aufbau der Spannung und des Moments. Sea of Solitude hat zwar seine starken Moment und hat mich teilweise zu Tränen gerührt, doch warum ist dann der Höhepunkt der Mobbinggeschichte ausgerechnet so etwas flaches wie dass Kay ihren kleinen Bruder nicht ernst nimmt und sich lieber mit ihrem Freund beschäftigt? Ja, das ist realistisch, und durchaus bringt Sea of Solitude eine Sammlung von Themen in die Videospiele, denen wir nicht allzu oft begegnen. Doch wer einmal ein gutes Jugendbuch gelesen hat, weiß, dass man sich mit diesen Themen noch wesentlich differenzierter und vor allem mit mehr Tiefgang beschäftigen kann.
Bitte, schweigt einfach…
Mehr emotionale und vor allem bleibende Momente hätte Sea of Solitude aufgebaut, wenn man auf einige Dinge verzichtet hätte und sich dafür auf die großartige visuelle Leistung konzentriert oder diese sogar noch ausgebaut hätte. Die in der Spielwelt verteilten Sammelobjekte, Flaschenpost und verscheuchbare Möwen, tun weder dem Gameplay noch der Handlung wirklich gut. Die Flaschenpost will zusätzliche Erklärungen liefern, die gar nicht nötig sind, die Möwen sind einfach nur albern – warum überhaupt sollte Kay sie noch verscheuchen wollen, wenn sie doch da einzige gewöhnlichen Lebewesen sind – eine echte Verbindung zu möglichen Bedeutungen der Möwen konnte ich auch nicht ausmachen.
Die Sprachausgabe ist allerdings eine der größten Fehlentscheidungen, die man für die Präsentation von Sea of Solitude machen konnte. Nicht nur, dass man an sich eine gewaltigere Story geschaffen hätte, wenn man auf eingespielten Dialoge und flachen Erklärungen der Ereignisse verzichtet hätte, sondern man hat sich auch noch dazu entschieden, das deutsche Spiel von Deutschen auf Englisch vertonen zu lassen. Richtig gelesen? Leider ja…
Mir kam die Sprachausgabe von der ersten Minute an komisch vor, und irgendwann hörte ich dann, was Sache sein musste. Die Synchronisation hört sich an vielen Stellen bemüht nach perfektem Englisch an, nach Schulenglisch eben, im Spielverlauf schleichen sich einige unsaubere th Laute ein, und insgesamt wirkt alles einfach nicht so, als ob da echte Figuren miteinander sprechen. Außerdem gibt es einige witzige, mitunter auch peinliche Übersetzungsfehler zwischen Untertitel und Sprachausgabe – und zwar in beide Richtungen. Als dann nach gut vier Stunden die Credits über den Bildschirm flimmerten, wurde leider alles bestätigt – tatsächlich handelt es sich um deutsche Sprecher.
Zwischen Abwechslung und Repetition
Um ehrlich zu sein war ich nicht wirklich traurig, als ich mit Sea of Solitude durch war. Gegen Ende wie am Anfang ging mir die Handlung teils wirklich nahe, und das ist einer der ganz großen Stärken des Spieles. Weniger wäre in Sea of Solitude allerdings mehr gewesen. Auch beim Gameplay hat man dem Spieler allerdings nicht wesentlich mehr zugetraut als beim Mitdenken in der Story.
Sea of Solitude ist ein Platformer ohne traditionelle Kämpfe. Vielmehr sind das Licht und Kays Fähigkeit, mit ihrem Rucksack Dunkelheit aufzusaugen, die zur Verfügung stehenden Waffen. Obwohl man hier in den drei Kapiteln immer wieder neue Elemente einbaut, schleicht sich innerhalb dieser Kapitel – und das in gerade mal gut vier Stunden – Einiges an Routine ein.
Es gibt nur wenige Stellen, die wirklich herausfordernd, und wenn, dann meistens nur, weil man einmal sehr schnell sein muss. Frust schleicht sich dennoch ein, denn an manchen Stellen fühlte ich mich in die PS2 Ära zurückversetzt. Wird Kay zum Beispiel angegriffen bzw. getroffen, bleibt eure Spielfigur schon vor dem eigentlichen Angriff stehen, nur, um dann die Animation rund eine Sekunde später auszuführen. Das habe ich so schon länger nicht mehr erlebt. Im Wesentlichen passt auch nur das Spiel mit Licht und Dunkelheit – und mit dem Wasser – zum Inhalt, alle anderen Aspekte des Gameplays würden auch zu jeder anderen Geschichte passen.
Glücklicherweise ist das Speichersystem von Sea of Solitude sehr fair und speichert wirklich ständig. Vor allem in den Bosskämpfen muss man so nicht alles nochmal machen, was cool ist. Weniger nachvollziehbar ist, wann Sea of Solitude zwischendurch speichert, allerdings werden die meisten Spieler ohnehin nicht mehr als eine bis drei Sitzungen benötigen, um das Spiel abzuschließen.
Fazit: Weniger wäre mehr gewesen
Sea of Solitude hat mich enttäuscht – und trotzdem berührt. Anders kann ich es nicht ausdrücken. Den Mut, den Tiefgang oder auch die spielerische Repräsentation des Inhalts, die ich erwartet hatte, konnte das Spiel nicht liefern. Hätte man die schöne Kulisse und das herausragende Monsterdesign mehr für sich allein wirken lassen, auf die peinliche englische Synchro verzichtet und vielleicht noch dem Gameplay Aspekte verpasst, um den Inhalt ganzheitlich zu repräsentieren, dann wäre Sea of Solitude ein Videospiel gewesen, das Inhalte abdeckt, für die ich persönlich Literatur so liebe. In dieser Form ist Sea of Solitude eher eine oberflächliche Geschichte, die nur in kleinen Teilen einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Eine gute Idee, die zu anspruchslos ausgebaut wurde. Dennoch sollte man sich das Abenteuer auch nicht ganz entgehen lassen.
Pro | Contra |
---|---|
+ Herausragendes Monsterdesign | – Peinliche englische Synchronisation |
+ Tolle visuelle Präsentation | – Frustrierende Gameplayelemente |
+ Wichtige und vielfältige Themen… | – … die zu oberflächlich behandelt werden |
+ Abwechslung zwischen den drei Kapiteln | – Kurze Spielzeit und wenig Wiederspielwert |
Technik: 66
Grafik: 84
Sound: 53
Umfang: 61
Gameplay: 63
KI: 54
Spielspaß: 64
- Story: Visuell großartig inszeniert, durch merkwürdige Sammelobjekte und schlechte Synchro auf ein oberflächliches Niveau zurückgeführt – Sea of Solitude kratzt am Ende doch wieder nur die Oberfläche dessen an, was es behandeln möchte und lässt wenig Raum für Interpretation, der gut getan hätte..
- Frustfaktor: Vorhanden, vor allem durch veraltete Gameplayelemente. Das Speichersystem ist dafür sehr fair.
- Wiederspielwert: Gering, außer ihr möchtet nach dem ersten Durchgang (etwa vier Stunden) noch die restlichen Sammelobjekte und Trophäen sammeln.
- Design/Stil: Die ganz große Stärke, insbesondere das Monsterdesign ist top.
- Musik und Sound: Grundsätzlich ist die Kulisse okay, die englische Synchro vermasselt aber das Spielerlebnis.
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