Beinahe fünf lange Jahre nach der Ankündigung hat Obsidian Entertainment erst die Tore ins Land der Lebenden geöffnet. Mit Avowed erzählt das Team eine neue Geschichte im Pillars of Eternity Universum – und liefert mit Avowed ein Rollenspiel, dass mich in den vergangenen Wochen fast vollumfänglich begeistern konnte. Ein paar Abzüge in der B-Note gibt es aber durchaus – welche das sind, klärt der Testbericht.
Sei du selbst!
In den vergangenen Monaten habe ich das Genre des RPGs, was ich jetzt einfach mal recht weit fasse, wieder entdeckt: Bereits im vergangenen Jahr begleiteten mich diverse Spiele aus dem Genre, Anfang des Jahres verbrachte ich viel Zeit mit Dragon Age: The Veilguard, das ich bereits auch auf dem Palace nach dem Neustart getestet habe. Spätestens nun mit Avowed habe ich gemerkt: Anscheinend habe ich Rollenspiele in den vergangenen Jahren viel zu sehr liegen lassen, Obsidian hat mit seinem Titel bewirkt, dass ich vermutlich nun wieder verstärkt an Bord bin – und hoffe, genug Zeit für die ganzen weiteren Spiele haben werde.
Rollenspiele gibt es mittlerweile in vielen verschiedenen Formen und mit diversen Komplexitätsgraden. Für mich persönlich war Avowed nun das Spiel der letzten Zeit, das sich am meisten wie ein echtes RPG anfühlte – auch wenn mir bewusst ist, dass da noch viel Luft nach oben ist. Was ich damit sagen will: Während sich im neusten Dragon Age viele RPG-Elemente für mich seicht gewaschen anfühlten und der stärkste Teil für mich das Sorgen für mein Team war, gestaltete sich das in Avowed leicht anders: Auch hier spielt mein Team eine wichtige Rolle, doch im direkten Vergleich sind die Gefährtenquests geradezu lächerlich, vor allem wenn man ihre Spielzeit in Bezug zur Gesamtspielzeit setzt. Doch vor allem hatte ich in Avowed den Eindruck, dass meine Figur teilweise wirklich darüber entscheidet, wie sich die Geschichte und die Welt um mich herum entwickeln, ebenso die Entscheidungen, die ich treffe.
Zum Spielbeginn wirst du in Avowed mit einem recht umfangreichen Charaktereditor konfrontiert und kannst dir die Figur zusammenstellen, die du gern sein möchtest – inklusive Fraktion und Hintergrundinformationen über die Figur. Das entscheidet in Avowed in sehr großer Häufigkeit über Dialogoptionen, die teils auch die Questabläufe beeinflussen, die entsprechenden Auswahlpunkte stehen dir nur zur Verfügung, wenn deine Figur über die entsprechenden Eigenschäften verfügt. Selbiges gilt für Attribute wie Entschlossenheit, Macht etc., da siehst du aber immer, wenn du eine Dialogoption verpasst. Ich habe Avowed in meinem Durchgang als Vorhut-Späher gespielt und hatte dadurch einige stimmige weitere Antwortoptionen, die gut zu diesem Hintergrund passen.
Bei der Erstellung des Charakters sind im Grunde nur die besonderen körperlichen Merkmale etwas einschränkend, weil man einen Gottähnlichen spielt. Diese besonderen optischen Merkmale kann man teils ausblenden lassen, sie werden aber trotzdem immer da sein und es gibt auch immer wieder Reaktionen der Umgebung darauf – aber das ist nun mal ein zentraler Teil des Spieles.
Bei deiner Klasse musst du dich nicht am Anfang entscheiden, ebenso kannst du deine Waffe jederzeit wechseln und frei wählen. Ein Klassenwechsel während eines Spieldurchgangs ist deshalb denkbar. Wenn du allerdings bereits bestimmte Fähigkeiten einer Klasse gelernt hast, zahlen diese evtl. mit diversen Boni auf die Verwendung von bestimmten Waffen ein. Damit sollte man sich also eine gewisse Zeit beschäftigen, um die passende Figur in Avowed zu bauen.

Willkommen im Land der Lebenden?!
In der Rolle deines Protagonisten wirst du im Auftrag deines Kaisers ins Land der Lebenden geschickt, um die Ursache für die Traumgeißel zu finden, eine Krankheit, die beinahe die gesamte Insel heimsucht, auch wenn einige der Anführer:innen das partout nicht wahrhaben wollen. Und na ja, dann ist da ja noch die Tatsache, dass du von außen in das Land der Lebenden kommst – auch dich mag nicht jeder dahaben.
Das Land der Lebenden ist in vier Regionen aufgeteilt, bei denen es sich jeweils um einzelne, frei begehbare Areale handelt. Es ist in Avowed also keine vollumfängliche Open-World, denn die einzelnen Regionen sind durch Schnellreise- bzw. Ladebildschirme getrennt. Zudem gibt es in jedem Gebiet auch noch abgetrennte Verließe, die ebenfalls nur nach einem Ladebildschirm zugänglich sind, selbes gilt für die Städte. Gestört hat mich das keineswegs – vor allem, weil mich die Spielwelt mit derart vielen Geheimnissen begeistern konnte.
Es gibt in Avowed quasi überall etwas zu entdecken, und das Schöne ist, nichts davon ist irgendwie gescriptet oder erst da, wenn das Spiel das möchte. Entdeckst du ein Questziel vor der eigentlichen Quest, oder den Schatz vor der zugehörigen Schatzkarte, na, dann ist das eben so. Ebenso kann es dir durch den Spielablauf passieren, dass bestimmte Ziele plötzlich nicht mehr verfügbar sind und Quests scheitern, zum Beispiel, weil das entsprechende Ziel zerstört wurde.
Vieles wird auf der Karte und mit dem Kompass von Avowed markiert, aber auch nicht alles: Einige Mini-Quests sind ohne entsprechende Markierungen ausgestattet, ihre einzelnen Ziele sind dann aber auch in einem sehr kleinen Radius zugänglich. Auch die Schätze sind nicht direkt auf der Karte markiert und du musst den passenden Ort zum Beispiel mit den Schatzkarten suchen, allerdings machen größere Schätze vor allem mit einem akustischen „Glitzern“ auf sich aufmerksam, welches man vor allem beim Spielen mit einem Headset sehr gut wahrnehmen kann.
Rette die… ah, eine Schatzkiste!
Was für mich eine große Stärke von Avowed ist: Es ist kein übertrieben großes Rollenspiel. Ich habe mir einen Großteil des Spieles angeschaut und alles recht bequem erledigt. Einige der Erfolge für Vollständigkeit konnte ich auch erfolgreich einheimsen. Damit kam ich auf eine Spielzeit von gut 48 Stunden, was ich absolut ausreichend finde. Meines Erachtens sollte es mehr Spiele in dieser Größenordnung geben, es muss wirklich nicht alles 100 Stunden oder mehr gehen.
Wenn man sich in Avowed nur auf die Story konzentrieren sollte, kann man meines Erachtens auch in etwa 20 Stunden durchs Spiel durch sein, dann verpasst man aber auch wirklich viele Highlights auf dem Weg. Alles habe ich auch ich noch nicht gesehen, ich schätze für circa 10 weitere Spielstunden gibt es noch Material, vor allem, wenn ich bedenke, was mir zwischendurch „verlorengegangen“ ist, da ich durch den Fortschritt der Story einige Nebenaktivitäten auf Nimmerwiedersehen verloren hatte. Doch abgesehen davon schaffte ich es nur selten direkt zum nächsten Questziel, weil einfach immer irgendwas auf dem Weg lag, was meine Aufmerksamkeit auf sich zog – und in vielen Fällen lohnte es sich absolut, meinen Instinkten zu folgen und zu erkunden, was auch immer da auf dem Weg lag.
Ich weiß, dass ich in Avowed nochmal einen zweiten Durchgang machen werde: Um eine andere Figur zu spielen und dann konsequent auch alle Nebenquests machen zu können. Eine entscheidende Sache gibt es an Avowed, die mich stört: Es handelt sich um ein Spiel mit vielen Freiheiten und tatsächlich kann man auch einige bedeutende Entscheidungen treffen. Um jedoch alle Erfolge des Spieles zu bekommen, muss man das auch – sofern einem die Erfolge wichtig sind. Das finde ich ehrlich gesagt albern, wenn ich ein Rollenspiel spiele, das mir Entscheidungen gibt und mir ermöglichen möchte, genau meinen Weg zu spielen, sollten die Erfolge nicht an bestimmte Entscheidungen gebunden sein, sodass ich doch alle Entscheidungen einmal treffen muss, sollte ich die 1.000 Gamerscore erhalten wollen. Macht gerne Erfolge für die vollständige Erkundung der Spielwelt, den Abschluss der Nebenquests und so weiter – aber doch bitte nicht für die Entscheidungen, die ja ich treffen soll, und zwar nicht, weil ich die Erfolge dazu haben möchte.
RPG im 40-FPS-Modus
Ich habe Avowed im ausgewogenen Modus gespielt, einem Grafikmodus, der auf der Xbox Series X in Verbindung mit einem 120 Hz Fernseher zur Verfügung steht und die grafisch höhere Qualität mit einer Bildrate von 40 Bildern pro Sekunde kombinieren soll. Damit war ich weitestgehend zufrieden: An vielen Stellen sieht Avowed atemberaubend aus! In der Spielwelt gibt es viele Details und vor allem viele Reflexionen und Effekte können mehr als nur überzeugen.
Die Performance ist indessen auf Xbox Series X nicht komplett astrein: Zwischendurch kommt es in einigen Situationen immer wieder zu Bildraten deutlich unter 40 FPS, und vor allem im letzten Spielabschnitt zieht sich das auch eine Weile so durch. Evtl. kann da mit Updates noch nachgebessert werden, ein paar Updates hatte ich bis zu meinem Abschluss des Spieles aber auch schon mitgenommen, mit denen u.a. die Performance des Spieles verbessert werden sollte.
Abgesehen von den Performance-Problemen gabs für mich an der Technik von Avowed kaum etwas auszusetzen, sehr gut gefallen hat mir auch die Soundkulisse, wobei mir Avowed nur mit Headset wirklich Spaß gemacht hat. Die eigentlich ziemlich guten Lautsprecher meines Fernsehers schienen mit dem Audio von Avowed etwas überfordert zu sein, da klingen andere Spiele besser.


First Person rockt | Mein Team, meine Regeln
Schlussendlich hat mich Avowed noch eine andere wichtige Sache gelehrt: First-Person-RPGs sind durchaus mein Ding! Die Spielperspektive machte mich vor dem Spielen sehr skeptisch, ob das was für mich sei, da ich dachte, ich würde Third-Person klar bevorzugen. Avowed kann man umschalten und in beiden Perspektiven spielen, doch ich habe nach einem kurzen Wechsel schnell wieder auf First-Person gewechselt. Diese Perspektive sorgt für eine gewisse Immersion und egal ob Kämpfe, Erkundung oder die durchaus auch mal präsenten Sprungeinlagen: Alles hat mir in First Person ein bisschen mehr Spaß gemacht und dafür gesorgt, dass ich mich unmittelbar mit meiner erstellen Spielfigur identifiziert habe.
Unabhängig von der Perspektiven-Einstellung war die Zusammenarbeit mit meinen Gefährten in Avowed wieder ein Highlight für mich: Die Entwicklung des Teams ist insgesamt relativ einfach und unspektakulär, doch die Interaktionen zwischen den Gefährten sowohl im Lager wie auch in während der Abenteuer machen immer wieder Spaß. Und natürlich bringen alle vier eine eigene Geschichte mit, die man aber nur vollumfänglich erlebt, wenn man so ziemlich allen Pfaden und Spuren in Avowed folgt – auf dem Silbertablett serviert Avowed die Care-Möglichkeiten für dein Team also nicht alle. Aber es lohnt sich, finde ich.
Bei größeren Entscheidungen der Geschichte darf man sich immer anhören, was die Gefährten darüber denken: Meist ergibt sich hier ein 50/50 Stimmungsbild, wobei die Begründungen der Gefährten immer zur eigenen Hintergrundgeschichte passen. Mir haben die Ausführungen des Teams manchmal durchaus geholfen, meine Entscheidungen zu treffen. Die Aufteilung des Für und Wider bedeuten auch, dass nicht jeder mit deiner Entscheidungen zufrieden ist – zumindest im absoluten Großteil der Situationen bleibt das gesamte Team aber loyal.
Vertont ist Avowed übrigens auf Englisch, eine deutsche Synchro gibt es nicht. Persönlich begrüße ich meist eine deutsche Synchro, natürlich dann, wenn gute Sprecher:innen zum Einsatz kommen. In diesem Fall hat mich der Verbleib der Tonspur auf Englisch nicht gestört, denn die englische Synchro ist meines Erachtens sehr gut gelungen.
Fazit: Ein starkes Obsidian-RPG

Avowed hat mir das RPG-Genre weiter schmackhaft gemacht und mich in knapp 50 Spielstunden fast vollumfänglich begeistert: Das Land der Lebenden bildet eine faszinierende Spielwelt mit Geheimnissen in jeder Ecke, die Geschichte überzeugt mit ihren Entscheidungen ebenso wie die Arbeit mit meinen Gefährten auf dem Weg zum Ziel. Auch von seiner First-Person-Perspektive konnte mich Avowed überzeugen, denn sie sorgt in allen Situationen für eine bestimmte Immersion. Zwei Dinge sorgen für Abzüge: Die Performance ist auf der Xbox Series X nicht in jeder Situation einwandfrei, zudem stört mich, dass ein Teil der Erfolge für Avowed für die Entscheidungen vergeben wird – dabei soll ich doch die Person spielen, die ich sein möchte… Unabhängig davon hat Avowed mich wirklich für einen zweiten Spieldurchgang motiviert, den ich irgendwann sicher machen werde: Um auch noch andere Aspekte dieser wunderbaren Spielwelt zu erleben.
Pro | Contra |
---|---|
+ Faszinierende Spielwelt mit vielen Geheimnissen | – Performance auf Xbox Series X nicht immer stabil |
+ Vielfältige Aspekte der eigenen Figur | – Erfolge werden für Spielentscheidungen vergeben |
+ Sehr schöne Spielwelt | – Gefährtenentwicklung/-quests insgesamt überschaubar |
+ Angenehmer Umfang (20 Stunden Story, ca. 50 Stunden für umfangreicheren Durchgang) | |
+ Gute Soundkulisse und Synchro |
Offenlegung
Wir haben Avowed im Rahmen eines selbst gezahlten Xbox Game Pass Abos heruntergeladen.