Die Need for Speed Reihe hat in dieser Generation einen schwierigen Stand: Zu PS3 Zeiten durch jährliche Releases ausgebrannt, fällt es dem seit Need for Speed Rivals zuständigen Entwicklerstudio Ghost Games schwer, Fans und vor allem die Medienlandschaft zu begeistern. Mit NFS Heat möchte man nun überzeugen, unter anderem auch durch die Rückkehr zu alten Tugenden. Ob’s klappt, verrät der Test.
Ein kühler Start
Mit Need for Speed Heat ging es mir genau so wie vor zwei Jahren mit Payback: Ich dachte zuerst, das wird nichts mit uns. Diesmal war aber nicht das frustrierende Lootboxensystem Schuld, sondern vor allem der unheimlich zähe und anspruchslose Start: Es dauert über zwei Stunden, bis Need for Speed Heat auch nur etwas von der Hitze präsentiert, die es eigentlich zeigen möchte.
In den ersten beiden Stunden habe ich mich in erster Linie über die recht hübsche Welt gefreut, die aber nicht nur leer, sondern auch leblos war, habe einige Events absolviert und bin der Konkurrenz jedes Mal davongefahren – Überrunden inklusive. Und die Cops? Deren Auftritt war ähnlich respekteinflößend wie im Need for Speed von 2015 – nämlich gar nicht.
Ich weiß nicht, wer beim Probespielen den Einstieg in Need for Speed Heat gut fand: Er ist völlig uninspiriert und entbehrt jeglichen Anspruchs und Leidenschaft. Hätte ich mir Need for Speed Heat selbst gekauft und nicht zum Testen erhalten, wäre es an dieser Stelle schon erst einmal vorbei gewesen. Ebenso wie Need for Speed Payback hätte ich dem Spiel vermutlich in ein paar Wochen eine Chance gegeben, um es weiterzuspielen – und festzustellen, dass es sich dann doch lohnt. Übrigens lohnt es sich auch, diesen Test weiterzulesen.
Vielfalt muss sich entfalten
Sechs bis acht Stunden später und darüber hinaus sieht alles ganz anders aus: Neue Spielelemente werden im Laufe der Kampagne freigeschaltet. Das sind Renntypen wie Drift und Offroad, und alles andere, wie Sammelobjekte und Rennherausforderungen in der offenen Welt, kommen gefühlt zufällig hinzu, folgen aber sicher auch irgendeiner Logik. Nach einigen Stunden Spielzeit ist Need for Speed Heat jedenfalls fast genau das, was man heute von einem durchschnittlichen Rennspiel erwartet: Es bietet recht abwechslungsreiche Rennen, eine mit verschiedenen Herausforderungen vollgestopfte offene Welt, Wettereffekte, viele verschiedene Wagen, allerdings noch eine einzigartige Mechanik: Ihr könnt selbst entscheiden, ob ihr tagsüber oder nachts unterwegs seid. Tags, um Geld zu sammeln, nachts, um euren Ruf in der Rennszene zu steigern.
Man merkt Need for Speed Heat an, dass Ghost Games bemüht war, eine Art Best of aus den vergangenen Need for Speed Ablegern zu zaubern: Das Tuning und die Stimmung aus Underground, die Polizeiauftritte und das „Heat Level“ aus Most Wanted, eine Story, die von der Inszenierung her wieder eher an Undercover und Co. erinnert, und sogar der Crewgedanke aus Need for Speed Carbon ist dabei, auch wenn er nur inhaltlich, nicht aber spielerisch vertreten ist.
Tagsüber fährt man sogar ganz legale Rennen, um Geld zu verdienen, auf abgetrennten Strecken ohne Verkehr und Polizei und daher hat Need for Speed Heat auch was vom (zu Recht) wenig beachteten Need for Speed ProStreet. Und ja, irgendwie kommt all die Vielfalt in Need for Speed Heat auch gut zusammen. Ich spiele das Spiel immer weiter, und doch habe ich nach über zehn Stunden immer noch gesagt, dass ich nicht weiß, wie ich Need for Speed Heat bewerten werde. Das liegt daran, dass es immer wieder knapp am schweren Unfall vorbeischrammt.
Die Racerszene ist unberechenbar
Jeder Wagen verfügt in Need for Speed Heat über eine Leistungsbewertung, das ist ja keine Überraschung. Außerdem kann man sie je nach eingebauten Teilen in die Richtung Straßenrennen, Drift und Offroad tunen – manche Wagen bringen dafür schon von Haus aus eine bestimmte Eignung mit. Neue Teile für Wagen schaltet man mittels der Reputationsstufe frei, die man größtenteils nachts steigern kann, und für die Teile wiederum benötigt man das Geld, das man größtenteils mit den Rennen am Tag verdienen kann. Von dem Lootboxensystem aus Need for Speed Payback hat Ghost Games sich komplett verabschiedet – das tut Need for Speed Heat sehr gut, denn man kann sich nun alles recht nachvollziehbar erarbeiten.
Wer allerdings genau gelesen hat, wird aufgeschnappt haben, dass das alles nach einer Formel klingt, die durchaus auch Grinding-Aspekte beinhaltet – und genau das tut sie in Need for Speed Heat auch. Es gibt keinen direkten Ablauf, wie man durchs Spiel kommt, sondern manches Mal muss man einige Rennen wiederholen oder weitere Events fahren, um seinen Wagen aufrüsten zu können – oder auch nicht, denn eine entscheidende Schwäche macht Need for Speed Heat unnötig frustrierend.
Der Schwierigkeitsgrad in Need for Speed Heat ist nämlich völlig unausgegoren. Während am Anfang alle Rennen viel zu leicht sind, zieht der Schwierigkeitsgrad danach zunächst unverhältnismäßig stark an, um anschließend unnachvollziehbar zu schwanken. Auch die empfohlenen Stufen für die Rennen helfen nicht weiter: Mal fährt man mit einem Wagen 100 Leistungspunkte drüber und die Konkurrenz (in erster Linie die ersten beiden des Feldes) ziehen hoffnungslos davon, ein anderes Mal ist unser Wagen 30 Punkte zu schwach und wir überrunden (!) ohne Probleme die Konkurrenz. Diese Beobachtungen beziehen sich hauptsächlich auf den Schwierigkeitsgrad mittel.
Zunächst wirkt alles noch so, als würde einfach die KI entsprechend unseres eigenen Leistungslevels angepasst werden, doch irgendwann folgt der komplette Schwierigkeitsgrad in Need for Speed Heat keiner Logik mehr: Sogar Driftevents im Laufe der Kampagne sind von der zu erreichenden Punktzahl her mal viel zu hart, mal viel zu anspruchslos, und letzteres meistens genau dann, wenn uns das Spiel weismachen will, es warte nun eine große Herausforderung…
Die KI, die erneut kein Vorzeigeaspekt dieses Need for Speed Ablegers ist, rundet das Bild der Unnachvollziehbarkeit ab: Während die Fahrer noch ein halbwegs rundes Bild abliefern, verhalten sich vor allem die Cops manchmal unheimlich dämlich und fahren sich selbst zu Schrott, während sie ein anderes Mal furchtbar aggressiv zu Werk gehen – was immerhin zur Story von Need for Speed Heat passt, die wie erwartet keine Überraschungen bietet, aber eben dazu dient, dem Spiel einen Inhalt zu verpassen.
Das Roguelite unter den Rennspielen
Insbesondere das Verhalten der Polizei kann für Frust sorgen, denn Need for Speed Heat ist quasi das aktuelle Roguelite unter den Rennspielen. Jede Nacht baut man sich ein neues Heat Level auf – mit steigendem Heat Level werden die Verfolgungsjagden intensiver, es winkt aber auch mehr Ruf und höhere Belohnungen. Außerdem werden bestimmte Events gleich erst mit einem bestimmten Heat Level freigeschaltet.
In krassen Verfolgungsjagden entfaltet Need for Speed Heat ein Adrenalinlevel, wie es schon lange kein Ableger mehr vermochte – und das ist grundsätzlich positiv gemeint, denn im Spielverlauf strahlen die Cops durchaus Macht auch. Nach einer langen Nacht und viel erbeutetem Ruf gleicht das Spiel gar einem Stealthspiel, da man verzweifelt versucht, zur nächsten Garage zu kommen, ohne nochmal ins Sichtfeld eines Polizeiautos zu fahren – ich stehe zwar nicht drauf, aber das macht Need for Speed Heat besonders und die Implementierung der Polizei insgesamt sehr gelungen.
Vermeiden sollte man auf jeden Fall eine Verhaftung, denn diese kann unschöne Konsequenzen haben: Ihr verliert nicht nur in dieser Nacht erarbeiteten Ruf, sondern auch Geld – und wenn’s dumm läuft, dann alles. Bei mir wurde tatsächlich einmal das Konto von über 100.000 Dollar auf 0 geleert – vielen Dank auch. Dann geht wirklich das große Suchen nach dem passenden Event los – zum Glück kann man allerdings bestimmte Events einfach immer wieder wiederholen und den gleichen Betrag kassieren, denn auch die Belohnungen für Events sind nicht wirklich nachvollziehbar. Schwierigere Events bringen nicht unbedingt mehr Geld als einfachere – warum auch immer.
Die Cops in Need for Speed Heat können jedenfalls ziemlich frustrierend sein und für Überraschungen sorgen. Verhaftet wird man nicht nur dann, wenn man in die Ecke gedrängt wird, sondern auch dann, wenn sie einem den Wagen zu Schrott rammen – und das passiert durch ihr aggressives Verhalten manchmal schneller als einem lieb ist… da freut sich man über die Nächte, in denen sie einen entweder ganz in Ruhe lassen oder man ihnen einfach nur davonfahren kann.
Der Rausch der Geschwindigkeit
Von allen Need for Speed Ablegern in dieser Generation ist Need for Speed Heat technisch mit Abstand die sauberste Iteration. Zum ersten Mal überhaupt gibt es direkt auf der Strecke keinerlei Bildratenprobleme – das gilt zumindest auf der Xbox One X. Zudem sieht das Spiel zum größten Teil hübsch aus, vor allem die Effekte auf nassen Straßen und Spiegelungen am Fahrzeug sowie Lichteffekte wissen zu gefallen. Mit Forza Horizon 4 kann es allerdings dennoch nicht ganz mithalten.
Das liegt auch daran, dass man sich die flüssige Framerate ganz offensichtlich mit einer geringen Sichtweite für bestimmte Objekte erkauft hat: Gras baut sich sichtbar vor uns auf, auch die Texturen von Bäumen ploppen nach, doch viel schlimmer, auch Verkehr und sogar unsere Kontrahenten werden vor uns in bestimmten Abstand sichtbar und unsichtbar. Auf kurvigen Strecken fällt das nicht auf, auf langen Geraden aber schon. Menüs und Zwischensequenzen laufen im Vergleich zum Spiel leider nicht sonderlich flüssig.
Beeindruckend in Need for Heat Heat ist die Soundkulisse: Die Musikuntermalung ist zwar nicht furchtbar vielfältig, passt aber, doch besonders gelungen sind die Soundeffekte: Wagen und Umgebung klingen herausragend und machen Einiges her. Die Soundkulisse fällt mir selten explizit in einem Spiel positiv auf – in Need for Speed Heat schon. Kudos dafür!
Über Tuning und aufgesetzte Onlinefeatures
Ein zentraler Teil von Need for Speed Heat ist natürlich das Tuning, und insbesondere das optische. Das Fahrverhalten wird in erster Linie durch die eingebauten Teile bestimmt, und diese haben auch deutlich spürbaren Einfluss. Das war’s aber auch schon. Mir gefällt die Arcadesteuerung richtig, richtig gut, allerdings muss man in Need for Speed Heat sowohl auf eine Cockpitansicht als auch auf Lenkradunterstützung verzichten. Ich finde allerdings, dass das Spiel beides auch nicht wirklich braucht. Need for Speed Heat ist vom driftorientierten Steuern der Criterion Spiele vollständig weg und setzt eher auf übertriebene Bodenhaftung. Aber: Die Wagen verhalten sich in Driftevents genau so wie normal, danke dafür, Ghost Games! Deswegen lohnen sich die Events aber eben auch nur, wenn man einen auf Drift angepassten Wagen fährt.
Freunde des optischen Tunings kommen in Need for Speed Heat jedenfalls voll auf ihre Kosten, denn für jeden Wagen stehen zahlreiche verschiedene Teile, Farben, Decals und sogar Nitro- und Reifenqualmfarben zur Verfügung. Decals und Folien nutze ich persönlich nie, dennoch fand ich die Möglichkeiten cool und habe für jeden Wagen die Möglichkeit genutzt, bestimmte Teile auszutauschen und dem Wagen einen individuellen Stil zu verpassen.
Im Vergleich zu den Vorgängern kann man Need for Speed Heat online und auch offline spielen. Mit demselben Spielstand ist beides möglich, man muss nur einmal übers Hauptmenü rüberwechseln. Online sieht man sich leider dem gleichen halbgaren Miteinander wie in den Vorgängern gegenüber: Es ist zwar cool, dass noch andere Fahrer in der Welt unterwegs sind, doch Vorteile hat das nicht. Die Möglichkeit, jedes Event mit anderen Fahrern per einfacher Einladung zu fahren, macht den Frust mitunter nur noch größer, weil es keinerlei Beschränkung für teilnehmende Leistungen gibt – außerdem kommen solche Rennen zumindest auf der Xbox One kaum zustande.
In diesem Bereich wünsche ich mir beim nächsten Mal mehr, ebenso wie bei der Spielwelt: Palm City und Umgebung sind zwar hübsch und wissen durch schöne Aussichten zu gefallen, doch mechanisch befindet sich die Welt immer noch auf dem Niveau eines Rockport City aus Need for Speed Most Wanted von 2005, abgesehen davon, dass sie wesentlich größer geworden ist! Sie ist leblos, es gibt keine Events, kein Leben, außer den paar Autos, die unterwegs sind. Auch in Rennspielen ist hier viel Luft nach oben: Eine dynamische Welt sollte her! Genauer betrachtet ist Palm City sogar weniger interaktiv, denn es gibt nicht mal Blocker für die Polizei…
Fazit: Tag und Nacht bedeuten Licht und Schatten
Need for Speed Heat ist ein seltsames Spiel: Es ist ein Best of aus vergangenen Ablegern und sehr vielfältig: Nachtrennen und Tuning wie in Underground, die Polizei ähnlich wie in Most Wanted, und beides macht eine gute Figur. Nach dem furchtbar langweiligen und anspruchslosen Start bietet Need for Speed Heat viel Abwechslung, einen guten Umfang und auch Einiges an Vielfalt, wird aber von einigen Designentscheidungen und Inkonsequenzen dauerhaft geplagt: Der völlig unausgegorene Schwierigkeitsgrad in Verbindung mit dem Roguelite-System in den Nächten sorgt für Frust und macht auch den Fortschritt vollkommen unnachvollziehbar. Palm City als offene Welt ist groß und hübsch, hat sich aber mechanisch selbst im Vergleich zu Rockport City aus 2005 nicht weiterentwickelt. Technisch ist Need for Speed Heat mit Abstand der sauberste Ableger in dieser Konsolengeneration, kann aber dennoch mit den schwächen unter der Haube nicht ganz aufräumen. Ich denke, NFS Heat ist ein Spiel, auf dem Ghost Games für die Zukunft sehr gut aufbauen kann, doch ich befürchte auch, so langsam hat das Studio schon zu viele Anläufe benötigt, um ein Need for Speed zu entwickeln, das wirklich den Asphalt brennen lässt.
Pro | Contra |
---|---|
+ Jede Menge Tuning und optische Anpassung | – Schwierigkeitsgrad völlig unausgegoren |
+ Sehr flüssige Darstellung, technisch größtenteils sauber | – Pop-Ups, sogar Verkehr und Kontrahenten! |
+ Große Vielfalt bei Events | – Hohes Frustpotential |
+ Hübsche Spielwelt… | – … die allerdings leblos und mechanisch steif ist |
+ Großartige Soundkulisse | – Musik nicht sehr abwechslungsreich |
– Furchtbare KI | |
– Spieleinstieg furchtbar langweilig und anspruchslos |
Technik: 71
Grafik: 80
Sound: 95
Umfang: 84
Gameplay: 70
KI: 25
Spielspaß: 66
- Story: Ist vorhanden.
- Frustfaktor: Sehr ausgeprägt, vor allem durch den unausgegorenen Schwierigkeitsgrad und das Roguelite System.
- Nachhaltigkeitswert: Need for Speed Heat bietet eine lange Spielzeit und durchaus auch Motivation. In Erinnerung bleiben dürfte das Spiel aber weiterhin nur als ein Ableger, dem die Vision und Passion gefehlt haben, um richtig gut zu sein.
- Design/Stil: Insgesamt sehr stimmig umgesetzt und auch aus einem Guss.
- Musik und Sound: Die Soundkulisse ist beeindruckend und auch die Musik passt, da fehlt es nur etwas an Vielfalt.
- Preis-Leistungs-Verhältnis: Vollpreis ist angemessen, Mikrotransaktionen gibt es nicht.
Offenlegung
Wir bedanken uns bei Electronic Arts für das Pressemuster von Need for Speed Heat! Wir haben das Spiel auf einer Xbox One X getestet, installiert auf einer externen Samsung SSD.
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