Es hat ziemlich lange gedauert, bis THQ Nordic und Experiment 101 Biomutant auf uns losgelassen haben – angekündigt war der Titel seit mehreren Jahren. Doch nun hat man sich endlich bereit gefühlt – und ich habe mich in den letzten Tagen sehr viel auf diese postapokalyptische Welt eingelassen. Warum vor allem diese mich an Biomutant begeistert, verrät der Test.
Die Geschichte liegt vor dir
Biomutant holt mich von Anfang an in eine interessante Welt und erzeugt deren Bild schon mit der Charaktererstellung: Ich schiebe hier nicht direkt Regler umher und setze auf diese Weise werte, sondern ich baue mir mein Erbgut zusammen. Ist eigentlich genau dasselbe, nur anders dargestellt – und passt perfekt zur Welt. Eine Welt, die irgendwo nach der Menschheit spielt, aber noch ihre Überbleibsel kennt, aber mit radioaktiven und anderweitig gefährlichen Zonen daherkommt.
Die Geschichte von Biomutant ist jetzt nicht unbedingt mega originell oder zieht an sich ihren Bann – sehr wohl aber die Kombination aus all ihren Teilen. Ich finde, dass die Welt von Biomutant für sich erzählt. Eine Bindung zu den Figuren bleibt zwar größtenteils aus, eher nerven sie mich etwas, aber so dramatisch ist das nicht, da der Erzähler, der ebenfalls sehr präsent ist, immer das „Du“ anspricht. Ich finde, das gelingt dann dadurch gut: Ich sehe mich selbst in dieser Welt wieder.
Diese erzählt durch die Bestandteile, denn es sind viele Szenen, die Geschichten erzählen: Die Läden in den verfallenen Städte, die übriggebliebenen Gebäudeteile, das Gerippe der Fahrzeuge, aber vor allem die Schienen, die immer wieder durch die Landschaft führen. Ich liebe genau solche Welten – und die von Biomutant fasziniert mich besonders, denn es gibt überall etwas zu entdecken – Orte mit ihren Geheimnissen, Ausrüstung, vielleicht auch einfach nur Rohstoffe. Experiment 101 hat seine Welt vollgepackt mit Dingen – vor allem auch mit Nebenquests, die es zu erledigen gilt. Durch diese bekommt Biomutant erst seinen Umfang.
Leben im Überfluss
Vielleicht gibt es hier und da sogar zu viel: Wenn ich nämlich die Nebenquests erledige und mich auf diese Welt wirklich einlasse, sind die am Anfang knapp geglaubten Ressourcen eben gar nicht mehr so knapp. Ich finde Ausrüstung ohne Ende, und eine gefundene Rüstung für ein paar Level höher, die ich als episch einstufte, ist am Ende gar nicht mehr so episch, weil ich noch zwei ähnliche oder bessere gefunden habe – auch Geld habe ich in Biomutant ziemlich schnell ziemlich viel, ohne, dass ich wirklich etwas damit anfangen kann.
Das Gefühl, wirklich echte Schätze entdecken zu können, haben die Entwickler*innen mit der schieren Vielzahl an Angeboten in der Spielwelt – vor allem im Bereich der Ausrüstung – etwas zunichte gemacht, obwohl Erfolgserlebnisse durchaus da sind: Viel gefundene Ausrüstung bietet sich zum Verkaufen oder noch besser zum Verschrotten an – wer es verschrottet, erhält wertvolle Rohstoffe, die man wiederum zum Basteln neuer Ausrüstung oder zum Verbessern bestehender verwenden kann.
Das Ausrüstungssystem in Biomutant macht mir unheimlich viel Spaß: Ich schaue immer wieder gern, was ich verbessern oder vielleicht auch neu herstellen kann. Nach ca. 8 oder 10 Stunden Spielzeit und wenn man bis dahin viele Nebenquests und optionale Gebiete gemacht hat, hat es nur den Status erreicht, dass man quasi alles hat und relativ übermächtig ist. Für mich waren mit Level 14 Gegner auf Level 20 überhaupt keine Herausforderung, weil meine Waffe(n) einfach so mächtig waren und ich auch den Roboter, der einen begleitet, schon komplett ausgebaut hatte – die Elemente wie Ausrüstung, Fähigkeiten der Hauptfigur, Roboter und mehr sind vielfältig und gelungen, ihr Balancing zum Rest der Welt ist aber nicht ganz im Reinen.
Wung Fu – Prügeln, schnetzeln und schießen zum Sieg
Das größte Problem von Biomutant ist, dass sich einige der Elemente im Spiel eher halbgar anfühlen bzw. wie ein wenig wie zusammengeschustert. In Spielen von wesentlich größeren Teams wie Assassin’s Creed Valhalla oder Ähnlichen ist das eigentlich nicht anders, aber diese Spiele verdecken das mit mehr Blockbuster-Attitüden und mehr oberflächlichem Polishing besser. Biomutant gelingt das nicht ganz so gut und manches Element, wie zum Beispiel die eigene Aura mit Licht und Schatten, wirkt über weite Strecken hinweg wirklich nur wie ein hinzugefügtes Element, welches nicht wirklich eine Relevanz hat.
Auch das Kampfsystem, eigentlich ein zentraler Aspekt von Biomutant, bleibt letztlich hinter seinen Möglichkeiten zurück: Jeder Typ von Waffe kommt eigentlich mit seinen eigenen Wung Fu Möglichkeiten daher, letztlich bleiben die auszuführenden Aktionen aber relativ überschaubar und die Kämpfe laufen eigentlich alle recht gleich ab, trotz angenehm verschiedener Gegnertypen, was vor allem für die recht vielfältigen Bosse gilt. Es spielt sich aber schnell eine gewisse Routine ein und dadurch, dass die meisten Gegner eher einfach bleiben oder man eh ziemlich mächtig wird, braucht man sich gar nicht groß in verschiedene Angriffsmuster einzuarbeiten – und die eigene Lieblingswaffe ist auch schnell gefunden.
Um nochmal kurz zu Assassin’s Creed Valhalla zurückzukommen: Mir machen in Biomutant die Kämpfe mehr Spaß, aber in Valhalla haben sie deutlich mehr Wumms und ich bekomme mehr Feedback über Treffen und getroffen werden – was den Grad der Bugs betrifft, nehmen sich beide Spiele nicht so viel, auch wenn Biomutant eben nicht so gut verbirgt, dass hier Gegner gern mal durch Elemente wie Brücken hindurchfallen.
Doch auch abseits der Kämpfe bin ich manchmal übermächtig: Obwohl ich meine Figur auf Stärke und Gesundheit geskillt hatte, konnte ich allzu oft andere Figuren sehr leicht „überzeugen“ – und kam so um Kämpfe herum. Grundsätzlich nicht schlecht, allerdings hatte ich wirklich nicht damit gerechnet, so erfolgreich zu sein.
Erzähltechniken – Fluch und Segen
Biomutant erzählt seine Geschichte auf eine interessante Weise: Die Spielfiguren sprechen ihre eigene Sprache, das Menü nennt sie Kauderwelsch. Der Erzähler übersetzt – eine coole Idee, die vor allem noch dazu verschiedene Persönlichkeiten in dieser Welt sehr gut zum Ausdruck bringt. Aber auch eine, die manche Dinge unnötig in die Länge zieht: Dadurch, dass erst die Figuren sprechen und dann er Erzähler, dauert alles doppelt so lang. Und phasenweise sehr viel gequatscht wird, ging es mir manchmal ziemlich auf den Keks, wenn ich mit NPCs sprechen musste. Das ist sicherlich eigentlich nicht das Ziel.
Ich habe schon gelesen, dass Experiment 101 jetzt an einem Patch zu Biomutant arbeitet, der auch die Erzählerkommentare während des Spieles verringern soll – eine meinerseits auch willkommene Änderung. Ich finde die Begleitkommentare gut, aber teilweise passen sie nicht so ganz. Ich weiß nicht so ganz, wie man die Erzähltechnik an sich überarbeiten kann, ohne der Welt ein Teil ihres Charmes zu nehmen – vielleicht würde es schon helfen, die Handhabung zu vereinfachen. Oft sagt der Erzähler extra „sagt“ oder „meint“ am Anfang, genauso oft aber nicht – das ist ziemlich inkonsequent.
Schade, dass es auch hier Kritik gibt, denn eigentlich sind wir da wieder beim Thema Welt von Biomutant, die einfach wunderbar erzählt. Das gilt auch für die zahlreichen Quests, die sehr gut und motivierend miteinander verknüpft sind, zumindest teilweise. Doch oft bedingt eine Aktion die andere – und ich finde, dass Experiment 101 es gut geschafft hat, hier eine komplexe, postapokalyptische Welt zusammenzustellen.
(Noch) kein vollständiger technischer Glanz auf PS5
Ich habe Biomutant auf der PS5 gespielt – im Vorfeld des Releases hat diese „Version“ schon etwas negative Kritik erhalten, da hier eine auf 4K skalierte 1080p PS4 Version gespielt wird, während Biomutant auf Xbox Series X in nativem 4K läuft. Ich finde die Diskussion schade, denn ich bin ehrlich: Ich bin mit Biomutant auf der PS5 wirklich recht zufrieden.
Vor allem im späteren Spielverlauf begeistert mich das Spiel mit einer detaillierten Welt und allzu oft mit seiner Optik – da die Spielwelt einfach wunderschön ist! Ich habe schon lange in keiner Welt mehr an so vielen unterschiedlichen Orten wahre Begeisterung empfunden wie hier, da fällt es auch nicht so ins Gewicht, dass technisch nicht alles perfekt ist. Es flimmert recht oft in Biomutant, manches ist etwas unscharf und es kommt leider auch regelmäßig zu Rucklern. Wie die Performance auf einer Ursprungs-PS4 ist, kann ich leider nicht beurteilen, aber ich vermute, nicht optimal, wenn nicht mal die PS5 die Performance zu optimieren vermag.
Dennoch zeigt mir Biomutant, dass auch ein technisch nicht perfektes Spiel überzeugen kann, denn die Optik erzeugt eine gute Atmosphäre, abgerundet auch durch den Soundtrack, der mir sehr gut gefallen hat. Die Soundeffekte können nicht immer überzeugen, aber die Musik und das Gesamtbild sehr wohl.
Fazit: Mehr Welten wie diese
Ich hatte schon lange nicht mehr so viel Freude an einer Spielwelt wie mit der von Biomutant: Es ist so eine Welt, die für sich genommen viele Geschichten erzählt und mich dazu einlädt, zahlreiche Geheimnisse zu entdecken. Fast überall gibt es etwas zu sehen, zu besiegen, zu sammeln – vielleicht auch fast schon zu viel. Biomutant vereint viele gute Ideen, doch nicht alle Elemente passen gut zusammen oder sind gut ausbalanciert: Auch das Kampfsystem als zentrales Element kann sein Potential nicht voll entfalten, sodass vor allem langfristig viele Kämpfe gleich ablaufen. Das Ausrüstungssystem begeistert mich, doch irgendwann habe ich eigentlich alles und werde nur noch (über-)mächtiger, während ich immer mehr Dinge finde. Biomutant liefert mit seiner Welt und seiner Erzählung einen Charme, der es einzigartig, wahnsinnig motivierend und einfach spaßig macht – ich glaube, das Team hat in manch anderer Beziehung zu sehr Richtung Blockbuster geeifert, konnte aber die entsprechenden Ideen durch Teamgröße und Budget nicht umsetzen. Bei kritischer Betrachtung ist Biomutant so ein solider, aber etwas halbgarer Titel – doch bei subjektiver Betrachtung habe ich einfach wahnsinnig viel Spaß und wünsche mir einen großen Erfolg für das Spiel, sodass das Team noch mehr liefern kann.
Pro | Contra |
---|---|
+ Wunderschöne Spielwelt | – Kampfsystem entfaltet nicht sein volles Potential |
+ Viele Geschichten | – Erzählstil Fluch und Segen zugleich |
+ Viel zu entdecken und sammeln… | – … was teils Überfluss und Übermacht bedeutet |
+ Gute Musikuntermalung | – Einige Ruckler |
+ Gute Verknüpfung der Quests | |
+ Abwechslungsreiche Gegnertypen und Bosse |
Technik: 81
Grafik: 84
Sound: 89
Umfang: 85
Gameplay: 78
KI: 71
Spielspaß: 87
- Story: Die Hauptgeschichte von Biomutant ist nicht unbedingt etwas Besonderes – doch es gibt viele Geschichten nebenher und vor allem erzählt die Welt an sich, was mich extrem begeistert.
- Frustfaktor: Kaum vorhanden.
- Design/Stil: Die Spielwelt ist wunderschön, ihr Stil konsequent.
- Musik und Sound: Nicht alle Soundeffekte überzeugen, die Musik und das Gesamthörerlebnis aber sehr wohl.
- Preis-Leistungs-Verhältnis: Der Preis von 59,99€ ist angemessen.
Offenlegung
Wir haben Biomutant selbst gekauft.
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